Mesrop, der Fischer

mesrop_1Das ist Mesrop. Scheinbar kennt er jeden Einwohner seiner Stadt, in jedem Fall aber winken ihm, als er mit uns in seinem 28 Jahre alten Lada Niva durch Garni in Armenien fährt, nahezu alle männlichen und auch einige weibliche Passanten zu und er grüßt mittels wirklich lässiger Handbewegung zurück. Wenn er gerade eine Zigarette raucht und dabei telefoniert, und er raucht und telefoniert in den zwei Stunden unserer gemeinsamen Reise sehr oft, nickt er ebenso lässig wie freundlich aus dem offenen Fenster und ließe mit der Glaubwürdigkeit seiner Gesten jedes Politbüromitglied vor Neid erblassen. Ich habe das Gefühl, wir fahren gerade beim inoffiziellen Bürgermeister mit. Oder wenigstens beim Chef der Feuerwehr. Um überhaupt von Jerewan nach Garni zu kommen, kann man für die 40 Kilometer ein Taxi für sechs Euro nehmen. Oder man beginnt die Reise mit der Buslinie 44 an der Oper in Jerewan. Der Bus kostet wie alle Busse den Festpreis von 20 Cent pro Fahrt, egal, wie weit sie geht. Mir gefällt dieses System. Nach 20 Minuten Fahrt dann Aussteigen an der zentralen Haltestelle der Marschrutnajas in Richtung Garni. Auf dem neben-gelegenen Rynok werden allerlei Bauernprodukte feilgeboten, wir entscheiden uns für den Kaffee, den der Kaffeemühlenbediener laut eigener Aussage selbst trinkt. KaffeemühleSein Kollege stellt sich hinter uns, formt die Hand zu einer Pistole und ruft: „I’m a robber!“. Ich drehe mich um, schaue ihn böse an und er lacht. Die Marschrutnaja nach Garni hat offiziell Platz für 13 Personen und fährt ab, als 22 Passagiere samt Gepäck Platz gefunden haben. Rechts von mir schwitzt der fette Oberarm der Oma mit den Blumen auf dem Schoß mein T-Shirt voll, der kleine Junge links von mir niest mir auf die Hose – wo soll er denn auch sonst hin niesen, sagt mir der Blick der Mutter, auf deren Schoß er sitzt. Ich lasse es mit mir geschehen und schwanke mit im Takt von Schlaglöchern, Serpentinen, kaputten Stoßdämpfern und russischer Popmusik. Eine Fahrt kostet 60 Cent. Mesrop gabelt uns auf, als wir gerade den Tempel von Garni verlassen (der bis auf den Filmdreh fürs russische TV und der beeindruckenden Umgebung recht belanglos war) und erklärt uns mit ruhiger, aber umso unwiderstehlicher und fester Stimme, dass unsere weitere Tour an diesem Tag nur dann wirklich gut werden könne, wenn wir für 6000 armenische Dingsda, ca. 12 Euro, bei ihm einstiegen. Wir hatten zwar vor, die Sache zu Fuß zu erledigen; aber ein paare Blicke auf die Karte, die Umgebung, in der es keine einzige Ebene zu geben scheint, unser Schuhwerk sowie seine überzeugenden Argumente lassen uns keine andere Wahl.
Mesrop_2Er ist wohlgebräunt, sein Händedruck der eines Menschen, der schon viele Hände geschüttelt hat, sein Blick forsch. Mit seinen 58 Jahren sieht er keinen Tag jünger aus, jedoch auch keinen Tag älter, seine Statur ist gerade und kräftig und er erinnert mich damit ein klein wenig an meinen Vater; sein Bauch und das gefälschte Fred Perry- Poloshirt gehen eine besondere Kombination ein. Sein erstaunlich gepflegter Lada Niva hält auf den ersten Blick einer TÜV-Prüfung stand, lediglich die 40-Kilo-Gasflasche im Kofferraum, vor der ich auf dem Rücksitz Platz nehme, ist recht zerbeult und rostig. Darüber hängt, von innen an der Kofferraumklappe befestigt, ein Duftbaum mit der Flagge der USA. Er bietet uns Zigaretten an, Jens sagt ja, ich nein. Ich will nicht auf den Boden aschen müssen, ich warte lieber noch ein wenig.
Die Tour führt dann wortwörtlich über Stock und Stein, kein anderer Wagen würde diese Strecke meistern außer dieser eine. Nach seiner Meinung über den neuen Niva gefragt, lacht er, zündet sich eine Zigarette an, zieht den Rauch tief ein uns sagt, man könne ihm gern drei von den Dingern vor die Tür stellen, er würde nicht gegen seinen tauschen. Dieser alte Niva sei kräftig, die neuen Nivas Luschen. Auch wenn er bergauf ständig den Choke zieht.DSC02012
Zum Ende der Tour meint er, wir müssten doch hungrig sein, er kenne da das beste Restaurant des Ortes, zu dem er uns auch führt und sich mit uns an den Personaltisch setzt. Die Kellnerin ist nicht erfreut, dass er ihr Arbeit bringt, denn sie verköstigt gerade eine Taufgesellschaft und scheint damit ausreichend beschäftigt. Wie wir erkennen, ist das tatsächlich kein schlechtes Restaurant und es stellt sich heraus, dass die Kellnerin seine Frau ist. Geschmeckt hat es trotzdem, es gab Schawarma und Limonade, die Tour war spitze und wir sind glücklich, einem armenischen Individualtouristenfänger ins Netz gegangen zu sein.

2 Gedanken zu „Mesrop, der Fischer

  1. Schöne Bilder von Garni und eine schöne Geschichte zu Adam J. Sacks und Mesrob. Die 12 Euro waren perfekt angelegt. Auf solche Art Land und Leute kennenzulernen macht Freude und vermittelt viel mehr Einblicke über das Leben der Menschen dort als die offiziellen Touristenreisen. Das macht Lust auf Entdeckungsreisen. Euch weiterhin noch viele solcher Erlebnisse und uns weitere interessante Berichte.

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