hntrlnd » Baku http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Rahbar – das H ist stumm http://www.hntrlnd.de/?p=893 http://www.hntrlnd.de/?p=893#comments Sun, 25 May 2014 18:26:39 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=893 Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Rahbar wohnt in einem Dorf am Rande Bakus in Aserbaidschan, ist 52 Jahre alt und mag Blumen. Seinen selbst gebrannten Schnaps, den er aus den Früchten seines eigenen Gartens brennt, schenkt er uns mit den Worten ein: „Wenn ihr zu viel davon trinkt und ihr ins Krankenhaus kommt, gibt’s Ärger mit der Polizei!“ Rahbar war mal Englischlehrer, obwohl sein Wortschatz ihn doch eher als schlechten Schüler ausweist. Für diese Arbeit zahlte man ihm 400 Dollar im Monat, weshalb er seinen Job aufgab und nun weit draußen für das dreifache Salär in einer unterentwickelten Region auf Geheiß einer NGO, deren Arbeit zu einem Großteil durch die EU finanziert wird, nachhaltige Bildungsprojekte aufbaut und dauerhafte Infrastrukturen schafft. Dafür und davon hat er sich einen schönen Hyundai gekauft, der einen erstaunlichen Pflegezustand aufweist. Die Kinder sind aus dem Haus, der Sohn als Arzt in der Schweiz, die Tochter hat gerade ihren Master gemacht. Seine Frau arbeitet in Afghanistan und ist fast nie zuhause. Ob er Angst um sie hat? Nein, warum denn? Sie wird doch von der UNO beschützt. Wie viele andere Höfe in dieser Gegend schmückt auch seinen Hof ein neues Haus, zwei Stockwerke, viel Platz, Wasserdruck und Voltzahl sehr zufriedenstellend, Holzfußboden, Souvenirs aus allen Teilen der Welt, meist aus Afrika, so wie die Uhr mit den Giraffen oder der Schmuckteller aus Kenia in der Vitrine neben dem Bleiglas aus Paris.

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Im zweiten, älteren und kleineren Haus wohnt sein Bruder mit seiner Frau und zwei Söhnen, er hat spät geheiratet und arbeitet nicht. In Rahbars arbeitsbedingter Abwesenheit kümmert er sich um Haus, Hof, den Hund und die drei Enten, gießt die Blumen und repariert hier und da was. Seine Söhne, einer fünf, einer zwei Jahre alt, spielen mit uns Fußball, ohne dass wir uns verständigen können, aber für „Ronaldo“, „Schweinsteiger“ und „Gol!“ benötigt es keine Sprache. Seine Frau ist selten zu sehen. Manchmal sehe ich noch eine weitere Frau auf dem Hof, wer sie ist, was sie macht und warum sie so skeptisch schaut, mag ich nicht ergründen.

Einer gegen zwei ist unfair

Einer gegen zwei ist unfair

Rahbar kommt ursprünglich aus Karabach, einer bis heute von Armenien annektierten Region. Der Versuch, sich über den Genozid an den Armeniern zu unterhalten, beginnt mit der Aussage, der große Bruder Türkei wäre den Aserbaidschanern zur Hilfe geeilt und hätte schließlich die Armenier gestoppt, als sie vor Baku standen und wird beendet er mit der Aussage, er sei Englisch- und kein Geschichtslehrer. Dabei nehmen wir in den Gesprächen Rahbar als einen aufgeschlossenen Weltbürger war, so kann er auch die Form der Demokratie, wie sie sich in Aserbaidschan darstellt, recht genau und augenzwinkernd einschätzen. Allerdings ist seine eigene Geschichte, die ihn mit den Armeniern verbindet oder besser gesagt von ihnen trennt, eine andere. Sie beginnt Ende der Achtziger und endet Anfang der Neunziger mit der Vertreibung der aserbaidschanischen Minderheit durch armenische Milizen, wieder starben Menschen. Sein Heimatdorf kann Rahbar nicht mehr besuchen. Damit scheint er sich allerdings abgefunden zu haben, denn es geht ihm augenscheinlich gut, da wo er ist. Kein Grund, über Politik zu sprechen oder im Dreck zu wühlen. Lieber sich und seinen Gästen noch einen Schnaps eingießen, Schaschlik essen und sich des Lebens freuen.

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Wozu Baku? http://www.hntrlnd.de/?p=874 http://www.hntrlnd.de/?p=874#comments Sat, 24 May 2014 15:59:21 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=874 Eindeutig noch keine Saison

Eindeutig noch keine Saison

Dieser Präsident, dessen Namen ich mir nicht merken will (obwohl es der gleiche Nachname sein wird wie der seines Vaters, welcher bereits die AsSSR regierte und dann, wie sein Sohn, demokratisch immer wieder gewählt wurde – wen interessiert der Apparat dahinter?) grinst und winkt aus allen Ecken. Zumindest seine Person weckt den Anschein einer ständigen Dauerfröhlichkeit, die Aserbaidschan beseelt. Das Umland, welches der auf unserer Reise erste klimatisierte Zug durchfährt, kann man wohl Steppe nennen. Abgesehen davon einige Raubvögel und eingemauerte Bauernhöfe. Die Dorfbar an einem der Bahnhöfe ist auch Nachts recht gut besucht, nur Männer.

Und ständig grüßt der Präsident

Und ständig grüßt der Präsident

Schon bei Zugeinfahrt stellen wir fest, Baku ist auf Hochglanz poliert. Später beim Besuch der Stadt: Die Hafenpromenade ist weitläufig. Nicht mehr das übliche Bild von Kiosken mit dem Warenangebot, welches sich alle 100 Meter wiederholt und an welches wir uns in Georgien gewöhnt hatten. Stattdessen vollklimatisierte Einkaufstempel mit KFC und Mc Donalds. Dazwischen die üblichen hochpreisigen Klamotten- und Parfümläden. Straßenunterführungen für Fußgänger mit Rolltreppen und Förderband (Siemens-Nixdorf).

Schöne neue Investorenwelt

Schöne neue Investorenwelt

In der Altstadt wurden sämtliche relevanten Stätten mit Museen ausgestattet, die keine historische Information auslassen. Auf transparenten OLED- Displays werden 3D-Grafiken angezeigt, die jedes historische Gebäude oder Utensil animieren, per Touch werden Detailinformationen angezeigt. Lichtdesigner haben sich damit beschäftigt, wie jede Ecke des frisch sanierten Palastes und des Maiden-Towers interessanter erscheinen, als es der originale Stein hergeben würde. Interaktiver Info-Lifestyle für zwei Euro Eintritt. Kurz vor unserer Abreise sah ich eine Reportage über Aserbaidschan auf NTV – „Das Land des Feuers“. Viel Gutes wurde eine Stunde lang berichtet, europafreundlich, ein säkularisiertes, muslimisches Land. Die Feuer des ständig ausströmenden Gases wurden gezeigt, ein wenig Folklore gut inszeniert. Kein „Aber“, nicht Negatives, Investoren müssen in dieses Land kommen. Mich beschäftigte die Frage, ob Staaten sich Reportagen auf NTV finanzieren können. Der Gedanke liegt heute nicht ferner, denn in den vier Tagen Aserbaidschan habe ich auf keiner der vielen Werbetafeln etwas Anderes entdeckt, als das mich angrinsende Konterfei des Präsidenten, oder einen Hinweis auf die tolle Stadt, in welcher doch jeder Investor glücklich werden könne. Vielleicht sollte sich Aserbaidschan mal zwischendurch Coca-Cola Werbung einkaufen, damit es nicht so auffällt. Ich bin in einem Staat mit einem enormen Werbeetat. Unser Gastgeber lächelt darüber: „Seht ihr, wie der Präsident aussieht? Als würde er sagen: ‘Ich zeigs euch allen’“.

Vorstadtteiler

Vorstadtteiler

Die Infrastruktur hat sich stark verändert, Straßen wurden zu großen Autobahnen ausgebaut, die auch die Vorstädte durchziehen und zerteilen. Unser Gastgeber war Lehrer, arbeitet jetzt für eine NGO und verdient das dreifache. „Aber Lehrer, Ärzte und Polizei gehören doch auch zur Infrastruktur dazu?“ frage ich, „Warum werden denen keine höheren Gehälter gezahlt?“ „Weiß ich nicht, naja die Polizisten haben es besser, deren Lohn ist stark gestiegen.“

Kein Kafee am Strand

Erstmal kein Kaffee am Strand

Östlich von Baku werden jetzt im Mai die Strände für die Saison vorbereitet. Ganze Strandzeilen werden mit Holzhütten bebaut. Dabei scheint man sich Strandstücke mieten zu können, um diese dann für die Gäste herzurichten. Der Müll der letzten Saison mischt sich zwischen den Bauarbeiten mit der angeschwemmten Plastik. Berge von PVC werden durch die schmalen Straßen zwischen den hohen Mauern der hinter dem Strand liegenden Grundstücke getrieben. Es muss noch viel entsorgt werden, bis die neue Saison beginnt.

Unser Meer soll sauber bleiben - jedenfalls an der Hafenpromenade

Unser Meer soll sauber bleiben – jedenfalls an der Hafenpromenade

Dagegen stört keine Plastikflasche das Bakuer Stadtbild. Ein Boot fährt vor der Promenade, zwei Arbeiter hängen über der Reling und sammeln Müll von der Wasseroberfläche. In der Stadt gibt es Mülltrennung. Ich muss mich fast überwinden, um den nächsten Zigarettenstummel mit meinen Schuhen auszutreten und liegenzulassen. Junge Männer sitzen in geschneiderten Jeans hinter dem Lenkrad ihrer deutschen Luxuskarossen mit V-förmig angeordnetem Motor. Unser Gastgeber sagt: „Das sind die Söhne der Minister und der Freunde der Minister.“. Er grinst dabei. Dann setzen wir uns in seinen sechs Jahre alten Hyundai und fahren 20 Kilometer raus aus der Stadt zu seinem riesigen Eigenheim.

Warum Baku?

Wozu Baku?

Die zweite Etage gehört uns. Es gibt kostenlos viel zu hochprozentigen Samagon, hergestellt aus den Weinreben, die den Garten überdachen. Hier kann man zwei Tage Ferien machen, das „Magasin“ bietet die nötigsten Lebensmittel, keine Importware. Einen Opa treffen wir regelmäßig auf der Dorfstraße. Er sitzt auf einem Pferdewagen und grüßt uns lachend. Da es kein Pferd gibt, hat er eine in der Türkei sehr verbreitete Erfindung davor gespannt: Ein Rad, ein Lenker und ein kleiner Motor dazwischen. Der Umstieg ist bestimmt nicht schwer gefallen. Warum sollte ich bei unserem kurzen Aufenthalt in Aserbaidschan hier weg wollen?

Irgendwann wird er wieder fahren, auch ohne Maßanzug hinter dem Lenkrad.

Irgendwann wird er wieder fahren, auch ohne Maßanzug hinter dem Lenkrad.

Das piefige Baku kann ruhig die Morgenstunden vor dem Schminkspiegel verbringen, deshalb muss ich es mir nicht nochmal ansehen wollen.

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