hntrlnd » Ein Tag, ein Mensch http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Auf den Berg mit dem Teufel http://www.hntrlnd.de/?p=1023 http://www.hntrlnd.de/?p=1023#comments Mon, 16 Jun 2014 04:14:08 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=1023 Die Kreuzung im Nichts

Die Kreuzung im Nichts

An Kreuzungen wie dieser wacht man auf, wenn man in der Nacht zuvor dem Teufel seine Seele verkauft hat. Staubig, genaugenommen ohne jegliche Umgebung, fern wartet in einer Richtung die Stadt, in der anderen etwas nebulös-unglaubliches, weit, weit oben in den Wolken, was es zu erobern gilt. Wir kamen mit dem Bus Nummer 350 aus Karakol und teilten dem Fahrer mit den goldenen Zähnen das Kennwort „Arashan“ mit, woraufhin er uns an diesem verlassenen Ort aussteigen ließ. Was nicht einfach war; kurz vorher waren in den bereits überfüllten Bus 14 lachende Schulkinder samt gestrenger Lehrerin eingestiegen, ein Huhn wird gackernd in einer Kiste über meinen Kopf von hinten nach vorn gereicht. „Germania?!“ „Gutan Tak! Gitler kaput!“
Kaum ausgestiegen, begegnet uns ein homosexueller und verängstigter Malaie namens Ju-Win, der laut eigenen Worten von einem zwielichtigen und zahnlosen Kirgisen in der Hoffnung nach Geld seit einer Stunde verfolgt wird. Ich meine, was rennt der auch allein hier rum, ohne ein Wort Russisch zu sprechen. Er bittet uns, sich uns anschließen zu dürfen und wir sagen ja, denn wir glauben, nicht der Schwule ist der Teufel, sondern der Zahnlose. Aber wer weiß das schon so genau. Den Kirigisen verscheuchen wir mit bösen Blicken.
Keine Schilder können uns helfen, auf den rechten Weg zu finden, die paar Einheimischen drehen sich arbeitend weg, wenn wir in ihre Nähe kommen. Nach einer Stunde finden wir ein altes Häuschen im Wald, an dem drei starke Männer skeptisch zu uns schauen und sagen, wir seien falsch. Beim Versuch, wieder auf den Weg zum richtigen Oben, zum korrekten Platz unter der Sonne zu kommen, nimmt uns bergab ein großer Wagen mit, der in seinem Laderaum ein paar unschuldige Vorschulkinder geladen hat. Diese starren Ju-win böse an, wer als erster wegschaut, hat verloren. Der Malaie hockt schwankend-kleinlaut in der Mitte, als es über Stock und Stein bergab geht.
DSC03603Der Weg hinauf wird begleitet von einem reißenden Gebirgsbach, der Schmelzwasser und Hoffnungen auf ein schnelles Ankommen hinunterspült, denn es wird steiler und steiler. Kinder befüllen Wasserkanister, die an Pferden hängen. Wohlhabende oder alte Touristen sitzen in dürftig geschweißten und frisch lackierten Containern, die auf dem Rücken von sowjetischen Allradfahrzeugen den Berg hinaufgebuckelt werden. Sie schauen von oben auf uns herunter, wir auf sie hinab. Uns kommen Menschen zu Fuß entgegen, in westeuropäische Funktionsjacken gekleidet, mit Stöcken aus Metall in ihren Händen; doch egal, wie lange wir laufen, erzählen uns diese Menschen immer, es seien immer nur noch drei Stunden bis auf den Gipfel.
Der Malaie, der uns nun wie ein Schatten begleitet, erscheint mir zu schlau und er fragt zu viel. Egal, wie schnell wir die Berge hinauflaufen, er nimmt dasselbe Tempo, er meckert nicht, fragt nicht nach Pausen, lässt uns den Vortritt, wenn wir kleine Bäche mit Sprüngen überqueren. Er hat nur eine kleine Flasche Wasser bei sich und ein Stück trockenes Brot. Als wir uns zu einem Schäfer und seiner Herde setzen und mit ihm eine Zigarette rauchen, lässt sich der Schäferhund bereitwillig von uns streicheln, den Malaien bellt er ängstlich-agressiv an und will ihn beissen, als dieser ihn mit seinem Smartphone fotografiert. Auch der Schäfer ist skeptisch und zieht seinen Hund ganz nah zu sich heran. Kurz darauf verschwindet er mit seiner Herde wieder in die Hügel, Ju-win überspielt die Situation durch knappes Lachen und mit der Aussage, es sei ja nichts passiert.

Zwei Zigaretten für ein Foto

Zwei Zigaretten für ein Foto

Wie die Geschichte ausgeht, weiß ich noch nicht. Bestimmt böse. Vielleicht aber doch mit Happy End? Treffen wir Gott? Nein, den gibt’s ja gar nicht, ebenso wie den Teufel. Naja, wir werden sehen. Genauso wie noch mehr Bilder.

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Asem und Almaty http://www.hntrlnd.de/?p=1007 http://www.hntrlnd.de/?p=1007#comments Fri, 13 Jun 2014 08:35:37 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=1007 Asem und der lange Gang

Asem und der lange Gang

Das ist Asem. Sie begrüßt uns mit drei Worten Englisch im gerade eröffneten Nomads-Hostel in Almaty. Asem ist 19 Jahre alt und studiert Jura im zweiten Jahr. Jetzt in den Semesterferien arbeitet sie in der Rezeption des riesigen Hostels. Zweiundsiebzig Betten. „Das größte Hostel in Almaty.“ sagt sie stolz. An einem langen Gang reihen sich die Mehrbettzimmer, ganz hinten im Gang gibt es das Gemeinschaftszimmer mit Küche. Wenn Asem nicht durch den Gang rennt, sitzt sie vorne am Tresen und klickt im Internet herum. Da sie so klein ist, sehen wir sie nicht, sie hört uns aber und steht dann auf, um uns zu begrüßen, oder einfach nur zu sehen, wer da kommt. Mich hätte es nicht gewundert, wenn sie auf einmal aufgetaucht wäre und wie im Kasperletheater „Seid ihr alle da?“ gerufen hätte. Im Hostel wird immer noch gebaut. Es zieht ein Lackgeruch durch die Räume. Ein Arbeiter geht durch die Zimmer und lackiert die Badewannen. Eigentlich sollte man hier wohl noch niemanden ins Haus lassen, allerdings sind wir schon die zweiten Gäste. Asem merkt man schnell an, dass sie nur mit dem Übersetzer im Handy Englisch reden kann, wir einigen uns also auf russische Kommunikation, dabei hilft sie mir gerne unaufgefordert, die Sätze richtig zu formulieren. Sie ist auch überrascht, wenn sie mir ihre Frage in einfacheren Worten stellen soll, ich müsse wirklich Vokabeln lernen, sagt sie dann.
„Wie oft spazierst du eigentlich jeden Tag durch den Gang?“ frage ich sie „Ich spaziere doch nicht.“ antwortet sie entrüstet. „Natürlich spazierst du nicht.“ beschwichtige ich „Also wie oft gehst du?“ „Naja, so 30 Mal, vielleicht?“. Wenig später, als sie wieder an unserem Zimmer vorbeiläuft, ruft sie hinein: „Vielleicht sind es aber auch 40 Gänge.“ Dabei lächelt sie entwaffnend und ich lächle zurück. Den störenden Lackgeruch erwähne ich ihr gegenüber nicht.
Stadt der Äpfel Stadt und Smog Schewtschenko in Almaty Selionui Bazar im Plattenbau Parkplätze, Beässerungskanal, Familie Erinnerung an die Verteidigung Moskaus Zweites internationales Folklorefestival Telefonate vor Abylai Khan vor Hauptbahnhof

„Findest du Almaty nicht ganz schön laut?“ frage ich. „Na, wir sind hier im Zentrum, es gibt stillere Orte in der Stadt. Ihr müsst Euch die vielen Parks ansehen.“ Sie beginnt die Namen der schönsten aufzusagen. Natürlich merke ich mir keinen, aber ich nicke trotzdem. „Und eine Querstraße weiter, wenn einen ständig jemand anspricht, ob man ein Handy kaufen möchte, stört dich das nicht?“ „Ach, beim Basar. Nein, da gehe ich nicht allzu oft entlang und dann ignoriere ich die.“ Sie wird sich keinen negativen Satz über ihre Stadt entlocken lassen. „Aber einmal hab ich da nur an der Ecke gestanden, ganz kurz. Da kam einer auf mich zu und fragte mich ‘Kaufst du oder verkaufst du Handys?’“ Asem hat Humor und Energie. Sie nimmt ihren Ferienjob in ihrem Hostel in ihrer Stadt ernst. Nach dem autokratischen System, dem Fehlen von Opposition oder dem Verscherbeln der Ressourcenausbeutung an internationale Konzerne brauche ich sie nicht zu befragen. Sie mag es hier. „Warum sollte man woanders hin wollen, die Stadt ist wirklich schön.“ sagt sie ohne zu zögern. Ich glaube ihr.

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Isa aus Bischkek http://www.hntrlnd.de/?p=934 http://www.hntrlnd.de/?p=934#comments Fri, 30 May 2014 16:22:19 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=934 Isa aus Bischkek

Isa aus Bischkek

Das ist Isa, die Tochter unserer Nachbarn hier in Bischkek in Kirgistan. Sie ist vier Jahre alt und geht nicht in den Kindergarten, das können sich ihre Eltern nicht leisten. Ihre Mutter ist den ganzen Tag zuhause, ihr Vater fährt vor dem Aufstehen auf Arbeit und kommt erst im Dunkeln zurück, dann sitzt er mit einer großen Flasche Bier auf der ausgebauten Sitzbank seines Transporters im Hof und raucht mit der Mutter. Isa hat noch einen Zwillingsbruder, Igor, und einen großen Bruder, Ivan, der geht schon zur Schule. Am zweitmeisten mag sie Tiger, die fauchen; einen davon trägt sie an einem Faden durch die Gegend, aber einen Namen hat er noch nicht. Am allermeisten aber mag sie ihre Metallflöte, auf der sie sich den halben Tag schief durch die Straßen der Nachbarschaft flötet, langsam ist eine Melodie zu erkennen. Aber sie muss sich oft mit Igor darum streiten, der will auch immer Flöte spielen. Wenn sie sich nicht einigen können oder die Flöte mit Erde verstopft ist, greift Ivan ein oder Mama schimpft. Papa ist nie da. Manchmal spielt Isa auch mit den bunten Platikflaschendeckeln im Hof oder scheucht den kleinen, zerzausten, schwarzen Hund über den Hof. Sie lacht oft, guckt neugierig in unsere Einkaufstüten und fragt uns, warum wir so viele Haare im Gesicht haben. Ich glaube, Isa ist ein glückliches Kind.

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Akmal, Taschkent, Usbekistan http://www.hntrlnd.de/?p=907 http://www.hntrlnd.de/?p=907#comments Thu, 29 May 2014 12:56:04 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=907 Das Atlas-Hotel wurde vor zwei Monaten eröffnet

Das Atlas-Hotel wurde vor zwei Monaten eröffnet

Akmal ist Anwalt und hat das Atlas-Hotel mitten in Taschkent bauen lassen, in welchem wir fünf Tage übernachten. Es ist sein Design, das ist ihm wichtig zu erwähnen. Die großen etablierten Hotels sind viel teurer, man kann aber den gleichen Komfort bieten zu geringeren Preisen. Natürlich möchte er weiter über die Vorteile seines wirklich gelungenen Hotels erzählen, aber mich interessieren ja meist andere Fragen als jene, die verkaufsfördernde Antworten provozieren. So viel sei gesagt, das Hotel ist durchdacht, unser Zimmer ist fast unökonomisch groß, der Komplex hat zwei Stockwerke und bildet kreisförmig einen schattigen Hinterhof, den man bereits Ende Mai unbedingt in dieser Stadt braucht. Alte Türen und Fenster wurden saniert und erhalten. Hier hat sich jemand Gedanken gemacht.

Akmal - erfolgreich und stolz auf sein Land

Akmal – erfolgreich und stolz auf sein Land

Ich frage ihn nach seiner Meinung zu Usbekistan und wir kommen ins Gerede. Im folgenden seine, wie ich denke, patriotische, aber teilweise reflektierte Meinung: Das Land hatte, gegenüber anderen Staaten in Zentralasien einige Vorteile. Es musste nach dem Zusammenbruch der UdSSR keine Schocktherapie durchmachen, wie zum Beispiel Kasachstan. Durch die recht willkürliche Grenzziehung und Bildung der Sowjetrepubliken wurde Usbekistan, im Gegensatz zu seinen Nachbarn, auch hinsichtlich der Ressourcen bevorteilt. Es gibt Wasser und blühende Landschaften östlich von Taschkent, die einen Anbau von Nahrungsmitteln ermöglichen und Usbekistan zum Selbstversorger zu machen. Die Anrainerstaaten haben nicht diese Grundlagen.

Amir Temur -  Weltenbezwinger und Nationalheld

Amir Temur – Weltenbezwinger und Nationalheld

Dies war vor dem 20. Jahrhundert nicht so relevant wie heute, denn erst die sozialistische Grenzziehung und der Zusammenbruch der UdSSR machten souveräne Staaten aus den Volksgruppen, die vorher recht lose Gesellschaftssysteme in Zentralasien bildeten. Usbekistan hat also schon aufgrund seiner Lage die Möglichkeit eine stabile, eigenständige Ökonomie zu entwickeln. Es gibt seit Jahrzehnten wirtschaftliche Kooperationen mit Südkorea, China kommt als wichtiger Partner nun dazu, interessiert am Gas und ausgestattet mit der Technologie, die es verarbeitet und zur Verfügung stellt. Anders als einige Länder in Afrika ist Usbekistan dabei ein gleichberechtigter Partner, denn es bietet die Ressourcen und kauft Technologie. Die Regierung achtet stark auf die wirtschaftliche Souveränität des Landes.

Schmiedearbeiten neben dem Bazar

Schmiedearbeiten neben dem Bazar

Anders als in Kasachstan wird hier die Ausbeutung der Ressourcen nicht an Investoren verkauft, sondern sie werden beteiligt. Ein Beispiel: Die Straßen Taschkents sind voller Daewoos, genauer gesagt „Uz-Daewoo“, ein Südkoreanisch-Usbekisches Joint Venture, dessen usbekische Fabriken sich „Uzawtosawod“ nennen. Seit 2008, mit dem Aufkauf von Daewoo durch General Motors nennt sich die Marke „GM Uzbekistan“. Anstatt des Daewoo-Logos klebt nun das der GM-Tochtermarke Chevrolet an der Motorhaube. Der Plan von Uzawtosawod ist es, die gesamte Teileproduktion in Usbekistan zu ermöglichen – ohne lange Transportwege könnten günstige Autos für ganz Zentralasien produziert werden.

Auf dem Chorsu Bazar gib es alles in rauhen Mengen und günstig

Auf dem Chorsu Bazar gib es alles in rauhen Mengen und günstig

Durch den Reichtum des Landes ist auch die Steuerpolitik extrem moderat. Der höchste Einkommenssteuersatz liegt unter 20 Prozent, eine Mehrwertsteuer im europäischen Sinne gibt es eigentlich nicht. Man findet in dem Land kaum Geldautomaten, Usbekistan ist dabei, seine Währung unabhängig vom weltweiten Geldsystem zu etablieren. Nachdem sich der Dollar als zweite und stabilere Währung im Handel (zum Beispiel beim Autokauf) durchgesetzt hatte, wurde er nun für den inländischen Handel verboten. Dollars oder Euro in der Tasche sind strafbar. Der usbekische SOM hat eine hohe Inflationsrate, für einen Euro gibt es heute 3200 SOM, im nächsten Monat wird es noch mehr sein. Man rennt also mit riesigen Bündeln von Geldscheinen durch die Straßen, der größte Schein hat einen Wert von 5000 SOM, nicht mal zwei Euro, und wird seit dem letzten Jahr gedruckt.

Feierabend auf dem Basar - das eingenommene Geld ist wenig wert und füllt Tüten

Feierabend auf dem Basar – das eingenommene Geld ist wenig wert und füllt Tüten

Akmals Meinung zur Inflation ist auch patriotisch und er hat eine recht lässige Position. Ja, es gibt eine hohe Inflationsrate und die Regierung versucht alles, um sie so gering wie möglich zu halten, allerdings stellt sich beim SOM ohne weltweite Verkettung das dar, was passiert, eine Entwertung des Geldes. Abgesehen von den vielen Geldscheinen und Nullen beeinflusst die Inflation aber nicht die usbekische Gesellschaft. Seiner Meinung nach hat die Bankenkrise Usbekistans Alltag nicht betroffen, weil er eben autark funktioniert. Eine Diskussion über den finanziellen Protektionismus, an welchem sich das autoritäre Regime gut darstellen lässt, brauche ich mit ihm wohl nicht anzufangen. Mir sitzt ein erfolgreicher Geschäftsmann gegenüber, der seine Sicht mitteilt und er hat wenig zu beklagen. Er erzählt von einem Studienfreund, der nach Europa gegangen ist und immer noch eine Wohnung mietet, also in Europa nicht das erfolgreiche Business aufgebaut hat, wie er selbst in der gleichen Zeit in Taschkent.

Transporter

Transporter

Der russisch-amerikanische Konflikt verursacht seiner Meinung nach einen negativen Einfluss auf die usbekische Gesellschaft. Beide Seiten seien an einem destabilisierten Zentralasien interessiert um es militärisch und strategisch für sich vereinnahmen zu können. Auch bei den kirgisischen Übergriffen auf usbekische Siedler an der Grenze hätten die Großmächte keinen friedenssichernden Einfluss gesucht. Es sei der rücksichtsvollen usbekischen Politik zu verdanken, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert ist. Obwohl die starke usbekische Armee ohne Probleme innerhalb weniger Tage Kirgistan einnehmen könnte, hat man sich zurückgehalten und Kompromisse geschlossen.

Müllverbrennungsanlage

Müllverbrennungsanlage

Spätestens an dieser Stelle ist es für mich ersichtlich, dass Akmal durchaus meinungsbildend argumentieren möchte und seine weiteren Ausführungen, die Usbekistan als den letzten vernünftig denkenden Rückhalt in einer dualistischen Welt darstellen, sind mir ein wenig zu verschwörungstheoretisch.
Meine Impressionen aus Taschkent bezeugen aber auf jeden Fall ein anderes Bild, als es die verängstigten europäischen Vorurteile vermitteln wollen. Die kulturellen Wurzeln und die Altstadt wurden in den sechziger Jahren des letzte Jahrhunderts durch ein Erdbeben zerstört. Der sowjetisch gelenkte Wiederaufbau prägt bis heute das Stadtbild, große Straßen, weite Plätze, siehe Kharkiv.

Sozialistische Großraumarchitektur - davor staunender Dirk

Sozialistische Großraumarchitektur – davor staunender Dirk

Hier lebt auch eine bereits im Stalinismus forcierte, weil hierher gelenkte multiethnische Gemeinschaft. Viele Koreaner sind im Koreakrieg hierher „geflüchtet worden“. Es gibt für alle Arbeit, viele Stunden, wenig Einkommen, aber doch ausreichend. Geschäftsideen werden schnell zugelassen, der große Schosun Bazar zeugt von dem Überangebot an Waren. Kaum Bettler, aber Devisentauschangebote an allen Ecken, in der Hand die Plastiktüte voller Geldscheine. Laut Gesetz strafbar, trotzdem Alltag. Auch wir tauschen hier unser Geld. Schüler fallen durch die einheitliche Schulkleidung auf: Hemd/Bluse weiß, Hose/kurzer Rock schwarz. Schulen und Krankenhäuser sind kostenlos. Als Hauptstadt eines moslemisches Landes fällt Taschkent nicht auf, auch der gern propagierte Polizeistaat ist im Stadtbild nicht ersichtlich. Polizisten finden wir an den Eingängen der Metrostationen, unsere Taschen werden durchsucht, die Kopien unsere Pässe werden begutachtet, es gab Anschläge.

Polizeikontrolle am Metroeingang

Polizeikontrolle am Metroeingang

Polizisten dürfen nicht fotografiert werden, ich frage einen, er sagt „nelsja“ und lässt mich dann doch ein Foto schießen. Abgesehen vom Schulzwang, der besonders Kinder ärmerer Bevölkerungsschichten aus dem familiären Geschäft in die Schulen holt, bekomme ich in den fünf Tagen den Eindruck von einer freien, stark säkularisierten Gesellschaft, ein weiterer Tigerstaat, der sich erfolgreich, wenn auch mit teilweise autoritären und fragwürdigen Methoden den weltwirtschaftlichen Profitinteressen verweigert. Eine stabile, sozial verantwortliche Gesellschaft, die auch ohne westliches, oder russisches Wertesystem funktioniert. Akmal sagt dazu nur: „Russland? Das schaut sich doch bei uns ab, wie man einen Sozialstaat aufbaut.“

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Rahbar – das H ist stumm http://www.hntrlnd.de/?p=893 http://www.hntrlnd.de/?p=893#comments Sun, 25 May 2014 18:26:39 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=893 Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Ein guter Koch und Schnapsbrenner

Rahbar wohnt in einem Dorf am Rande Bakus in Aserbaidschan, ist 52 Jahre alt und mag Blumen. Seinen selbst gebrannten Schnaps, den er aus den Früchten seines eigenen Gartens brennt, schenkt er uns mit den Worten ein: „Wenn ihr zu viel davon trinkt und ihr ins Krankenhaus kommt, gibt’s Ärger mit der Polizei!“ Rahbar war mal Englischlehrer, obwohl sein Wortschatz ihn doch eher als schlechten Schüler ausweist. Für diese Arbeit zahlte man ihm 400 Dollar im Monat, weshalb er seinen Job aufgab und nun weit draußen für das dreifache Salär in einer unterentwickelten Region auf Geheiß einer NGO, deren Arbeit zu einem Großteil durch die EU finanziert wird, nachhaltige Bildungsprojekte aufbaut und dauerhafte Infrastrukturen schafft. Dafür und davon hat er sich einen schönen Hyundai gekauft, der einen erstaunlichen Pflegezustand aufweist. Die Kinder sind aus dem Haus, der Sohn als Arzt in der Schweiz, die Tochter hat gerade ihren Master gemacht. Seine Frau arbeitet in Afghanistan und ist fast nie zuhause. Ob er Angst um sie hat? Nein, warum denn? Sie wird doch von der UNO beschützt. Wie viele andere Höfe in dieser Gegend schmückt auch seinen Hof ein neues Haus, zwei Stockwerke, viel Platz, Wasserdruck und Voltzahl sehr zufriedenstellend, Holzfußboden, Souvenirs aus allen Teilen der Welt, meist aus Afrika, so wie die Uhr mit den Giraffen oder der Schmuckteller aus Kenia in der Vitrine neben dem Bleiglas aus Paris.

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Rahbar mag Blumen, Blumen mögen Rahbar

Im zweiten, älteren und kleineren Haus wohnt sein Bruder mit seiner Frau und zwei Söhnen, er hat spät geheiratet und arbeitet nicht. In Rahbars arbeitsbedingter Abwesenheit kümmert er sich um Haus, Hof, den Hund und die drei Enten, gießt die Blumen und repariert hier und da was. Seine Söhne, einer fünf, einer zwei Jahre alt, spielen mit uns Fußball, ohne dass wir uns verständigen können, aber für „Ronaldo“, „Schweinsteiger“ und „Gol!“ benötigt es keine Sprache. Seine Frau ist selten zu sehen. Manchmal sehe ich noch eine weitere Frau auf dem Hof, wer sie ist, was sie macht und warum sie so skeptisch schaut, mag ich nicht ergründen.

Einer gegen zwei ist unfair

Einer gegen zwei ist unfair

Rahbar kommt ursprünglich aus Karabach, einer bis heute von Armenien annektierten Region. Der Versuch, sich über den Genozid an den Armeniern zu unterhalten, beginnt mit der Aussage, der große Bruder Türkei wäre den Aserbaidschanern zur Hilfe geeilt und hätte schließlich die Armenier gestoppt, als sie vor Baku standen und wird beendet er mit der Aussage, er sei Englisch- und kein Geschichtslehrer. Dabei nehmen wir in den Gesprächen Rahbar als einen aufgeschlossenen Weltbürger war, so kann er auch die Form der Demokratie, wie sie sich in Aserbaidschan darstellt, recht genau und augenzwinkernd einschätzen. Allerdings ist seine eigene Geschichte, die ihn mit den Armeniern verbindet oder besser gesagt von ihnen trennt, eine andere. Sie beginnt Ende der Achtziger und endet Anfang der Neunziger mit der Vertreibung der aserbaidschanischen Minderheit durch armenische Milizen, wieder starben Menschen. Sein Heimatdorf kann Rahbar nicht mehr besuchen. Damit scheint er sich allerdings abgefunden zu haben, denn es geht ihm augenscheinlich gut, da wo er ist. Kein Grund, über Politik zu sprechen oder im Dreck zu wühlen. Lieber sich und seinen Gästen noch einen Schnaps eingießen, Schaschlik essen und sich des Lebens freuen.

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Mesrop, der Fischer http://www.hntrlnd.de/?p=781 http://www.hntrlnd.de/?p=781#comments Tue, 13 May 2014 18:40:10 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=781 mesrop_1Das ist Mesrop. Scheinbar kennt er jeden Einwohner seiner Stadt, in jedem Fall aber winken ihm, als er mit uns in seinem 28 Jahre alten Lada Niva durch Garni in Armenien fährt, nahezu alle männlichen und auch einige weibliche Passanten zu und er grüßt mittels wirklich lässiger Handbewegung zurück. Wenn er gerade eine Zigarette raucht und dabei telefoniert, und er raucht und telefoniert in den zwei Stunden unserer gemeinsamen Reise sehr oft, nickt er ebenso lässig wie freundlich aus dem offenen Fenster und ließe mit der Glaubwürdigkeit seiner Gesten jedes Politbüromitglied vor Neid erblassen. Ich habe das Gefühl, wir fahren gerade beim inoffiziellen Bürgermeister mit. Oder wenigstens beim Chef der Feuerwehr. Um überhaupt von Jerewan nach Garni zu kommen, kann man für die 40 Kilometer ein Taxi für sechs Euro nehmen. Oder man beginnt die Reise mit der Buslinie 44 an der Oper in Jerewan. Der Bus kostet wie alle Busse den Festpreis von 20 Cent pro Fahrt, egal, wie weit sie geht. Mir gefällt dieses System. Nach 20 Minuten Fahrt dann Aussteigen an der zentralen Haltestelle der Marschrutnajas in Richtung Garni. Auf dem neben-gelegenen Rynok werden allerlei Bauernprodukte feilgeboten, wir entscheiden uns für den Kaffee, den der Kaffeemühlenbediener laut eigener Aussage selbst trinkt. KaffeemühleSein Kollege stellt sich hinter uns, formt die Hand zu einer Pistole und ruft: „I’m a robber!“. Ich drehe mich um, schaue ihn böse an und er lacht. Die Marschrutnaja nach Garni hat offiziell Platz für 13 Personen und fährt ab, als 22 Passagiere samt Gepäck Platz gefunden haben. Rechts von mir schwitzt der fette Oberarm der Oma mit den Blumen auf dem Schoß mein T-Shirt voll, der kleine Junge links von mir niest mir auf die Hose – wo soll er denn auch sonst hin niesen, sagt mir der Blick der Mutter, auf deren Schoß er sitzt. Ich lasse es mit mir geschehen und schwanke mit im Takt von Schlaglöchern, Serpentinen, kaputten Stoßdämpfern und russischer Popmusik. Eine Fahrt kostet 60 Cent. Mesrop gabelt uns auf, als wir gerade den Tempel von Garni verlassen (der bis auf den Filmdreh fürs russische TV und der beeindruckenden Umgebung recht belanglos war) und erklärt uns mit ruhiger, aber umso unwiderstehlicher und fester Stimme, dass unsere weitere Tour an diesem Tag nur dann wirklich gut werden könne, wenn wir für 6000 armenische Dingsda, ca. 12 Euro, bei ihm einstiegen. Wir hatten zwar vor, die Sache zu Fuß zu erledigen; aber ein paare Blicke auf die Karte, die Umgebung, in der es keine einzige Ebene zu geben scheint, unser Schuhwerk sowie seine überzeugenden Argumente lassen uns keine andere Wahl.
Mesrop_2Er ist wohlgebräunt, sein Händedruck der eines Menschen, der schon viele Hände geschüttelt hat, sein Blick forsch. Mit seinen 58 Jahren sieht er keinen Tag jünger aus, jedoch auch keinen Tag älter, seine Statur ist gerade und kräftig und er erinnert mich damit ein klein wenig an meinen Vater; sein Bauch und das gefälschte Fred Perry- Poloshirt gehen eine besondere Kombination ein. Sein erstaunlich gepflegter Lada Niva hält auf den ersten Blick einer TÜV-Prüfung stand, lediglich die 40-Kilo-Gasflasche im Kofferraum, vor der ich auf dem Rücksitz Platz nehme, ist recht zerbeult und rostig. Darüber hängt, von innen an der Kofferraumklappe befestigt, ein Duftbaum mit der Flagge der USA. Er bietet uns Zigaretten an, Jens sagt ja, ich nein. Ich will nicht auf den Boden aschen müssen, ich warte lieber noch ein wenig.
Die Tour führt dann wortwörtlich über Stock und Stein, kein anderer Wagen würde diese Strecke meistern außer dieser eine. Nach seiner Meinung über den neuen Niva gefragt, lacht er, zündet sich eine Zigarette an, zieht den Rauch tief ein uns sagt, man könne ihm gern drei von den Dingern vor die Tür stellen, er würde nicht gegen seinen tauschen. Dieser alte Niva sei kräftig, die neuen Nivas Luschen. Auch wenn er bergauf ständig den Choke zieht.DSC02012
Zum Ende der Tour meint er, wir müssten doch hungrig sein, er kenne da das beste Restaurant des Ortes, zu dem er uns auch führt und sich mit uns an den Personaltisch setzt. Die Kellnerin ist nicht erfreut, dass er ihr Arbeit bringt, denn sie verköstigt gerade eine Taufgesellschaft und scheint damit ausreichend beschäftigt. Wie wir erkennen, ist das tatsächlich kein schlechtes Restaurant und es stellt sich heraus, dass die Kellnerin seine Frau ist. Geschmeckt hat es trotzdem, es gab Schawarma und Limonade, die Tour war spitze und wir sind glücklich, einem armenischen Individualtouristenfänger ins Netz gegangen zu sein. Man könnte denken, es sei unecht Armenische Landschaft, russische Hipster Jens hat das Taschentuch, das er vor 28 Jahren h Überholmanöver erfolgreich Jens' neue Freunde Eine Busladung passt rein Das Bild macht jeder Russischer Filmdreh

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Zori braucht Schlaf http://www.hntrlnd.de/?p=753 http://www.hntrlnd.de/?p=753#comments Sat, 10 May 2014 06:00:06 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=753 Zori ist oft etwas müde

Zori ist oft etwas müde

Das ist Zori. Gestern, am Abend des 9. Mai, dem Feiertag des Sieges über Nazi-Deutschland und dem Feiertag der Befreiung der Exklave Nagorny-Karabach, genauer gesagt der Stadt Schuscha, die bis 1992 von Aserbaidschan besetzt war, hat er uns Wein gebracht und Kuchen und hat dazu mit seiner glockenhellen Stimme zwei unglaublich traurige, armenische Volkslieder angestimmt. Er ist 23 Jahre alt und übernimmt sechs Tage in der Woche die Nachtschicht in dem Hostel in Jerewan, in dem wir für ein paar Tage wohnen. Er kommt abends um acht und geht zwölf Stunden später. Zwischendurch versucht er, ein wenig Schlaf auf der Couch im Gemeinschaftsraum zu bekommen, denn am Tag arbeitet er von neun bis sieben in einer Tischlerei, die sich auf Fahrzeug- Innenausbauten spezialisiert hat. Die einzige Freizeit, die er hat, ist der Sonntag, aber da schläft er eigentlich nur. Einmal im Monat schafft er es, in die Kirche zu gehen und zu beten. Zori spricht sehr gut deutsch, denn das hat er in der Schule gehabt und danach an einer Universität studiert. Dazu spricht er armenisch, russisch und ein wenig englisch. Sein älterer Bruder lebt in Deutschland, aber als ich ihn frage, ob er nicht lieber bei seinem Bruder leben möchte, verneint er mit einem Seufzen, denn einer muss sich doch um die Eltern kümmern, die ein paar Kilometer außerhalb Jerewans leben, schon sehr alt sind und Hilfe benötigen. Deswegen muss Zori auch soviel arbeiten. Seine Freundin, die in einer anderen Stadt wohnt, hat Zori deshalb schon seit fünf Monaten nicht mehr gesehen, Telefonate müssen reichen. Wieder ein kleiner Seufzer. Wie lange das so weitergeht? Zori weiß es nicht, aber er will unbedingt Polizist werden, dann hätte er gute Arbeitszeiten, einen vernünftigen Lohn, könnte seine Freundin heiraten, ein normales Leben führen und endlich mal wieder lange schlafen.

Zori wurde für kurze Zeit unser Freund

Zori wurde für kurze Zeit unser Freund

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Sodom und Gomorra http://www.hntrlnd.de/?p=750 http://www.hntrlnd.de/?p=750#comments Fri, 09 May 2014 06:44:21 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=750 Norair Gregorian

Norair Gregorian

Das ist Norair Grigorian. Beim Besuch der Gedenkstätte für den Genozid der Türken an den Armeniern, die aber leider geschlossen hatte, lief uns ein alter Herr über den Weg, genauer gesagt lief er uns nach. Durch sein auf den ersten Blick gepflegtes Äußeres machte er den Eindruck eines Offiziellen, sein Hemd gebügelt, die Hose sauber umgeschlagen, glänzende Lederschuhe. Als er mich ansprach, musste ich Jens hinzuziehen, denn mein Russisch und sein Englisch waren einfach zu schlecht, um einen wirkliche Konversation zu entwickeln.

Neben ein paar interessanten Informationen über die Gedenkstätte teilte uns Norair mit, dass er 12 Jahre politischer Gefangener in Sibirien war, weil er CIA- Agent gewesen sei. Dies kam, weil er an der Seite der Amerikaner gegen die UdSSR und ihr autoritäres Regime kämpfte. Bis zum Ende des Stalinismus war der Genozid an den Armeniern ein Tabu, ein Grund also, gegen das System zu sein. Im armenisch-aserbaidschanischen Krieg, welcher in den Achtziger Jahre die Menschen aus Berg Karabach tötete und flüchten ließ, waren die Amerikaner auf der Seite Aserbaidschans, Norair als gebürtiger Armenier aber nicht, was zu einem Zerwürfnis mit der CIA führte und ihm zusätzlich zwei Jahre Gefangenschaft in den USA einbrachte. Welcher Arbeit er nachgeht und ob er überhaupt eine hat, war nicht aus ihm herauszubekommen, lediglich, dass irgendwann nach seiner Gefangenschaft Gott zu ihm sprach und ihm mitteilte, er müsse ein Buch schreiben, für welches er aber bis heute keinen Verleger finden konnte. Erst wollte er uns nicht so recht davon erzählen, weil er Angst hatte, wir würden ihn für verrückt halten, tat es dann aber doch. Sein Buch handelt, soweit wir das verstehen konnten, vom Untergang der sieben großen, sündigen Städte Kopenhagen, Istanbul, Hannover, New York, Moskau, Kapstadt und Amsterdam, wie es in der Bibel mit Sodom und Gomorra geschah. Wann genau das geschehen soll, sagte er uns nicht.
Er fragte nach unserem Glauben und wir teilten ihm mit, dass wir keinen haben. Er zeigte Verständnis und sagte, dass er bis zu seinem Gespräch mit Gott ebenfalls keinen hatte. Nun aber liest er nur noch in der Bibel, denn dort würde er die Antworten auf alle, auf wirklich alle Fragen finden. Wir verabschiedeten uns freundlich, bevor das Gespräch endgültig seine Konsistenz verlieren würde. Trotzdem Danke, Norair, für Deine Aufgeschlossenheit und Selbstironie.

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Die alte Frau und das Meer http://www.hntrlnd.de/?p=721 http://www.hntrlnd.de/?p=721#comments Wed, 07 May 2014 07:09:30 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=721 Die Gartenpflanzen sind  Jahrzehnte, der Beton ist höchsten fünf Jahre alt.

Die Gartenpflanzen sind Jahrzehnte, der Beton ist höchsten fünf Jahre alt.

Unser Gastgeber André arbeitet im Management des “Bridge Resort”, einem frisch für die Olympiade gebauten Hotelkomplex direkt neben dem Gelände der Olympischen Spiele. In Sicht- und Rufweite zur abchasischen Grenze wurde für das riesige Areal, das wir alle aus den Livebildern des Februars kennen, eine ganze Sumpflandschaft trockengelegt, zuvor gab es nur an vereinzelt erhöhten Stellen kleinere Fischerdörfer. Heute erheben sich hier ganze Berge aus Bettenburgen, alles ist eingezäunt – durch große Teile der Hotelstadt und des olympischen Dorfs dürfen wir nicht spazieren, die Swimming Pools werden sauber gehalten für Gäste, die es nicht mehr oder noch nicht gibt.

Eingezäunte Swimmingpools und Bettenburgen

Eingezäunte Swimmingpools und Bettenburgen

Und so ist auch das Bridge Resort eingezäunt. Die Hotelhäuser weisen mit Namen wie „Sydney“ oder „New York“ auf ihre olympische Vergangenheit hin. Das Hotel ist schick und funktional, hat zu dieser Jahreszeit etwas wenig Gäste und etwas mehr als genügend Personal. Eine große russische Baufirma errichtete fast die Hälfte der Häuser um den Olympiapark, sie ist nun Eigentümer von Leerstand bis auf einige Inseln, zu denen auch das Bridge Resort gehört – hier und da werden gerade Konzepte einer Nutzung der Gelände  erarbeitet, unabhängig von künftigen Hochzeiten wie Formel 1 und Fußball-WM 2018.

Gartenzäune zwischen Meer und Ressort

Gartenzäune zwischen Meer und Ressort

Vom Hotel sind es etwa 100 Meter hin zu Betondamm, Steinstrand und Schwarzem Meer. Dazwischen ein kurzer Abschnitt, Blechzäune, zwei Meter hoch, mit der Kopie eines Holzfunierplastikimitats beklebt. Dahinter Höfe und Häuser des Dorfes, dass schon vor Olympia existierte. Irgendwo ein Durchgang zwischen Zäunen, ein schmaler Asphaltweg führt zwischen weiteren Zäunen durch das Dorf. Dort, wo die Straße parallel zur Promenade abbiegt, steht ein überdachtes Metallgestell an einem kleinen Zweiraumhaus. An der Wand ein Kühlschrank, ein Regal, halbvoll mit Tütensuppen, Keksen, Trockenfisch und den üblichen, weltweit bekannten Getränken. Eine junger Straßenhund tappst um einen Knochen herum, den er sich vorgenommen hat zu zerkauen. Er schiebt den Knochen und sich zwischen zwei Bänke und einen Tisch, die unter dem Blechdach aufgestellt sind. Eine ältere Frau räumt irgendwas auf. Ich frage sie, ob wir uns hinsetzen und einen Tee trinken können. „Ja natürlich, ich mache euch einen Tee,“ sagt sie lächelnd, „aber ihr braucht Petschenie zum Tee.“ Sie zeigt auf die drei verschiedenen Sorten von Keksen. „Njet, tolko Tschai.“ antworte ich und sehe dabei Dirk, der schnell mal Hunger hat. „Ili, kakoi Petschene u was jest?“

"Das ist nicht mein Laden."

“Das ist nicht mein Laden.”

„Hier, das wollt ihr bestimmt.“ sagt sie, öffnet den Kühlschrank, holt eine mit süßer Sahne und Marmelade gefüllte Biskuitrolle aus der Verpackung und schneidet sie für uns in Scheiben. „Wartet, ich mache euch den Tee. Mit Zitrone und Zucker?“, dann geht sie in den hinteren Raum.
Als sie mit dem Tee zurückkommt, frage ich sie, wie lange sie hier schon wohnt. „Naja, so vierzig Jahre da drüben,“ sagt sie und zeigt auf ein Haus, dessen rotes Wellblechdach über den beschriebenen Zaun hervorguckt, „in einer Kommunalnaja.“ „Und wie lange haben Sie den Laden?“ „Das ist nicht mein Laden“ grinst sie. „Wie ist es denn für Sie, wenn hier die neuen Häuser entstehen?“

Blechdächer und Asphalt

Blechdächer und Asphalt

„Naja, wie soll es sein. Die Straße hier“ – sie zeigt auf den Asphalt – „haben sie uns schön gemacht, vorher konnte man hier kaum noch langlaufen und wir haben ein neues Dach bekommen, es hat doch schon jahrelang bei uns durchgeregnet. Das ist eine arme Kommunalnaja, drei Familien teilen sich eine Küche und eine Toilette gibt es nur auf dem Hof.“ „Wurde das auch geändert?“ „Nein, aber das Dach ist jetzt neu.“ „Und die Zäune? Früher konnten Sie doch bestimmt im Hof sitzen und auf das Meer gucken?“ „Ja, aber das Meer ist doch immer noch da?“ fragt sie verwundert. „Und jetzt gibt es einen Damm, keine Überschwemmungen mehr.“ dann hält sie kurz inne „Aber hier wird bestimmt auch bald alles abgerissen.“ „Wissen Sie das schon?“ „Es wird geredet. Warum sollte hier nicht auch alles schön gemacht werden?“ „Und wohin gehe Sie dann?“ Sie zuckt mit den Schultern, lächelt dabei weiter. „Denken Sie, die russische Gesellschaft wird Sie weiter unterstützen?“ „Ich weiß es nicht“ sagt sie.

Gleich bekleckert er sich

Gleich bekleckert er sich

Dirk rutscht das Glas Tee aus der Hand, es kippt nicht, aber verschüttet den Tee teilweise auf seine Hose. Sie ist erschrockener als wir, holt ein Handtuch und sagt: „Das ist ja nicht so schlimm.“ „Nein, ist es nicht“ sagt Dirk, ihm passiere das häufiger. „Der Tee war doch nicht mehr so heiß? Das ist ja nicht so schlimm.“ Sie verhält sich, als hätte sie den Tee auf Dirk gekippt, beruhigt sich erst, als er an seiner Hose herumtupft. Natürlich frage ich sie, ob ich ein Foto von ihr und ihrem Laden machen kann. „Na gut, machen Sie mal.“ Sie setzt sich hinter den Trockenfisch. Ich zeige ihr das Foto im Display. „Aber das können Sie mir nicht geben?“ fragt sie. „Nein,“ sage ich „das kann ich hier nicht auf Papier machen.“ Dann halte ich kurz inne. „Aber ein Freund arbeitet nur hundert Meter entfernt in dem Hotel, ich werde ihn fragen, ob er es ausdrucken und ihnen vorbeibringen kann.“ „Nein, das ist doch zu viel Aufwand.“ „Ist es nicht, die Viertelstunde kann er sich bestimmt nehmen. Naja, vielleicht bringt er Ihnen ja das Bild vorbei, vielleicht aber auch nicht.“ Wir haben den Tee getrunken, die Biskuitrolle ist aufgegessen. Also verabschieden wir uns und schlendern weiter durchs Dorf. Links und rechts der Dorfstraße werden wir eingezäunt von mit Plastikfolie beklebtem Blech.

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Die Katakomben von Kerch http://www.hntrlnd.de/?p=108 http://www.hntrlnd.de/?p=108#comments Mon, 16 Feb 2009 21:46:53 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=108 Mit Spritzen- Igor nicht nur am Ende, sondern auch am Arsch der Welt.

Am Eingang Kot, Knochen, abgeschnittene Colaflaschen. Hier drinnen haben sich also die Partisanen versteckt, als die Deutschen kamen und ihre Frauen und Kinder töten wollten. Geholfen hat es ihnen nicht, denn wie wir wissen, waren die Deutschen dieser Zeit erbarmungslose Monster und alle sind gestorben. Hier geht es laut Aussagen unseres ukrainischen Expeditionsleiters Igor in die 14 Quadratkilometer großen Katakomben unter der Stadt im Osten der Krim.
Hierher gekommen sind wir im Trolleybus. Auf einer vierzig Jahre alten Sitzbank aus glänzendem Holz rutsche ich unruhig umher, da mich die Schaffnerin anschaut, als hätte ich ihre minderjährige Tochter unerlaubt defloriert. Als wir an der Endstelle aussteigen, einer Wendeschleife mitten in Buschwerk und Altreifen am letzten Rand der Stadt, sind wir seit sechs Stationen die letzten Fahrgäste. Es wird dunkel. Den zweiten Teil der Strecke bestreiten wir in einem in den 80ern aus Deutschland halblegal ausgeführten Transporter, der zum Bus mit 15 Sitz- und Bückplätzen umgebaut wurde. Eine Fahrt, egal wie weit, kostet einen Grwina. Auch hier, wie überall anders, werden wir, diesmal von alten Frauen mit blondierten Dutts (man nennt sie hier Nukes) argwöhnisch begutachtet und offenkundig diskutiert. Leider sind meine Russischkenntnisse noch zu schlecht, als dass ich sie verstehen könne, aber ihre Körpersprache spricht Bände.

"Tod den deutschen Besatzern" Steht so seit 1960. Spitzname oder Beschimpfung?

Igor, unser Expeditionsleiter, hat sich vor kurzem erst seine selbstgemachten Amphetamine einverleibt. Dann hat er während der Hinfahrt unverständlich stammelnd auf Gebäude und auch mal ins dunkle Nichts gezeigt. Aber er war sehr freundlich. Was ich aus seinem wirren Gerede heraushöre, ist sein Wunsch, unser Berater in Sachen illegaler Pharmazeutik zu werden. Ich werfe einen zweiten Blick auf sein Gesicht und halte mir seine bisherigen Aussagen nochmal vor und sage ganz nett danke, nein. Ob denn Interesse an einer Frau bestünde? Seine Freundin sei schon im sechsten Monat schwanger, aber sie könne fantastisch blasen. Die berühmte osteuropäische Gastfreundschaft kann echt lästig werden. Als ich nach der Ausstattung für unsere Unterwelt-Tour frage, bekomme ich zwei chinesische LED-Taschenlampen und ein Feuerzeug präsentiert.
Eingang zu den Katakomben Oberschenkel? IMGP2995 IMGP2996 IMGP2997 IMGP2999 IMGP3000 IMGP3001 IMGP3002 IMGP3004 IMGP3013 IMGP3014
Die Luft hier unten ist trocken und still, die Inschriften in den glatten Wänden zeugen von Bergbau (aus diesem Stein wurde die Stadt gebaut), Partisanen („Tötet alle Deutschen“) und dummen Jugendlichen (Hakenkreuze). Überall liegt Band aus Musikkassetten auf dem Boden als Wegweiser. Nahezu berauschend war der Anblick des etwa vier Meter hohen Haufens Scheiße, der durch ein großes, etwa 20 Meter tiefes Loch aus irgendeiner Kanalisation hier unten entstanden ist. Ich habe mir das nicht näher angeschaut.
Igor holt zur Stärkung ein paar Dosen „Revo“ hervor. In Deutschland fällt das unters BTMG. Taurin, Koffein, zwei Antidepressiva, drei weitere Sachen mit -in und reichlich Alkohol. Ich trinke nur eine viertel Dose und höre meinen Herzschlag in den Ohren.
Ich bitte zum Ausgang, was nach einer halben Stunde Suchen auch klappt. Igor verabschiedet sich wie ein richtiger Ukrainer, er war irgendwann einfach weg. Kurz vor seinem Verschwinden schlug er aber noch vor, das doch mal mit deutschen Touristen zu machen, die fänden das bestimmt lustig. So für zwei Euro oder so. Ein bisschen Scheiße angucken, denk ich mir, wird in Deutschland deutlich teurer verkauft.

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