Demonstration in Kharkov

001Nachdem wir heute in Kharkov angekommen sind, erhielten wir die Information, heute würde „was gehen“, sprich: 18 Uhr solle auf dem Platz der Unabhängigkeit, dessen Denkmal erst vor zwei Jahren errichtet wurde, eine Demonstration „Pro Ukraine“ stattfinden. Also hin da, Kamera nicht vergessen.
DSC00978Während die Demonstration ihren Lauf nahm, der Pater der ukrainischen Kirche die Einleitung sprach und die Menschen sich bekreuzigten, marschierten unbemerkt an der Flanke junge Männer mit ernstem Blick, Turnhosen und Sportschuhen auf; hauptsächlich in schwarz gekleidet. An ihnen waren keinerlei Symbole der Ukraine zu finden, auch keine Spur von Freundlichkeit war zu entdecken, sie machten einen sehr angespannten und ungewöhnlich aufmerksamen Eindruck. Ihr Begrüßungsritual bestand aus einem für mich verdächtigen, gegenseitigen Berühren des rechten Unterarms, und ich hätte ihnen eine Verschärfung der Situation zugetraut, doch dazu kam es nicht, denn sowohl freiwillige Kräfte aus der Demonstranten-Szene als auch die Ultras des hiesigen Fußballvereins Metallist Charkov standen Spalier im Kreis um die Demonstranten.
DSC00956Eine Funktion, die ich eigentlich den zahlreich anwesenden Milizen, Polizisten und paramilitärischen Einheiten zugestanden hätte, doch diese hielten sich deutlich zurück und liefen eher locker zwischen den Anwesenden umher, anstatt einen Formation zu bilden, wie ich es aus Deutschland kenne. Laut der Aussage unsere einheimischen Freundes Kosko sei diesen Einheiten aber sowieso nicht zu trauen und im Ernstfall wisse man hier nicht, für wen sie Partei ergreifen würden, also sei es nur logisch, eine eigene Verteidigungslinie aufzubauen.

Die Themen, die während dieser Demonstration angesprochen wurden, beschränkten sich hauptsächlich auf das Skandieren etablierter Slogans wie „Slava Ukranina, gerojem slava“
Der Redner ruft: „Kharkiv!“, die Menge skandiert „Ukrania!“. Die Nationalhymne wird gesungen, ich stehe aus Respekt still und mir läuft ein leichter Schauer über den Rücken, weil es wirklich eine schöne Hymne ist und ich solche Bekundungen zum eigenen Staat aus Deutschland nicht kenne und dort auch verurteilen würde, aber das ist gehört nicht hierher, es geht hier nicht ums deutsche Verständnis von Nationalbewusstsein. Soweit ich es dann verstehen konnte, waren die Reden nicht von abstrakten politischen Konzepten geprägt, sondern vielmehr wurde immer wieder der soziale Zusammenhalt der gesamten Ukraine auf einfache Art und Weise thematisiert, besonders feststellbar bei den leiseren Redebeiträgen. Die Redner waren Geistliche, einfache Bürger, Blogger – Politiker habe ich keine entdecken können – die gesamte Demonstration machte auf mich den Eindruck einer von den Bürgern selbstorganisierten Veranstaltung. Kinder waren keine zu entdecken, ansonsten gab die Demonstration alles her, was die Gesellschaft zu bieten hat.

DSC00988Obwohl am Ende alles friedlich ablief, konnte ich eine deutliche Anspannung unter den Demonstranten spüren, was auch an den zahlreich Vermummten gelegen haben mag, die teilweise mit Stahlhelmen und eigenkonstruieren Verteidigungswerkzeugen bewährt waren. Unser Freund Kosko hatte deutlich mehr Respekt vor der Situation, während wir einfach mitten rein gingen und Fotos machten. Aber er ist wohl auch anders geprägt aufgrund der vergangenen Ereignisse, die sicherlich nicht so friedlich abliefen wie das hier beschriebene, wenn man den Fotos glauben darf, die man im Netz findet.

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