hntrlnd » Dnepropetrovsk http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Metallist vs. Dnipro http://www.hntrlnd.de/?p=560 http://www.hntrlnd.de/?p=560#comments Mon, 28 Apr 2014 08:15:34 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=560 015Gestern wurden wir Zeuge einer im ukrainischen Fußball nicht neuen, aber ungewöhnlichen Situation: Die ansonsten verfeindeten Ultra-Gruppen der Erstliga-Vereine Metallist Kharkov und Dnipro Dnipropetrovsk trafen sich anlässlich des Duells beider Mannschaften zu einem gemeinsamen und friedlichen Marsch vom Platz der Verfassung zum Stadion in Kharkov.

009Der Marsch setzte sich nach dem Singen der ukrainischen Hymne in Bewegung und es vergingen keine fünf Minuten, da brannten die ersten Pyros, wurden die ersten Kanonenböller abgefeuert, Autoalarmanlagen heulten, Hunde bellten, diverse, aber zahlreiche Ordnungskräfte begleiteten das Spektakel eher beiläufig und stimmten gelegentlich in die pro-ukrainischen Gesänge ein. Nicht nur Fußballfans und Ultras gehörten dieser Demonstration an, sondern auch normale Bürger der Stadt.

007Im Allgemeinen fand jedoch eine für deutsche Verhältnisse undenkbare Vereinnahmung des Fußballs für politische Zwecke statt. Für derzeitige ukrainische Verhältnisse ist das durchaus verständlich, denn wie bereits in Odessa hat man hier das Gefühl, dass beide Fangruppen gegen einen übergeordneten Gegner ankämpfen, den sie nur gemeinsam besiegen können. Der Nationalismus, der hier durch die Fans gezeigt wird, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, sondern hat sich erst in den letzten Wochen und Monaten entwickelt und wurde direkt, als auch indirekt befeuert durch die aus ukrainischer Sicht andauernde Bedrohung des ehemals großen Bruders. Vor den Ereignissen der letzten Zeit wäre es schier undenkbar gewesen, dass sich ein ukrainischer Ultra für politische oder nationalistische Zwecke in irgendeiner Weise hätte vereinnahmen lassen.

013Doch ebenso festzustellen war, dass die gesamte Aktion auf mediale Wirkung abzielte, denn alles machte einen geplanten Eindruck, nahezu mit einer Choreographie versehen, aber das kennt man ja von gut organisierten Fanblocks, nur eben nicht in diesem Ausmaß und über Vereinsgrenzen hinweg.

016Als dann das Gerücht aufkam, das ca. 400 pro-russisch gesinnte Fans auf dem Weg in Richtung der Demonstration seien, erfasste die Menge erst eine gespenstische Stille, dann lag plötzlich und merkbar das Gefühl in der Luft, dass „gleich was passiert“. Und so war es denn auch; die Marschroute wurde geändert und die meist vermummten Ultras bewegten sich in Richtung der pro-russischen Fans, um sich schließlich mit ihnen blutige Straßenschlachten zu liefern. Steine flogen, Autos und Scheiben gingen zu Bruch, Blaulicht, viel wurde spekuliert, Menschen mit Kindern brachten sich in Sicherheit.

017Die Verbrüderung der Fangruppen hielt diesmal auch während des Spiels an, so wurde zu Beginn jeder Halbzeit gemeinsam die ukrainische Nationalhymne angestimmt und wie bereits in Odessa wurden kanon-artige Chöre mit „Slava Ukraina! Gerojem slava!“ gesungen. Nach dem Spiel wurde der Fanblock der unterlegenen Mannschaft sogar vom anderen Fanblock mittels Applaus verabschiedet.

Hinzu kamen, sowohl vor als auch während des Spiels zahlreiche eindeutige Schmähsprüche in Richtung Wladimir Putin, in denen er mal als aktiv, mal als passiv homosexuell bezeichnet wurde, was aber auch eine Aussage über die Homophobie in den Fankreisen ist, wobei die homophobe Politik des heutigen Russlands solchen Slogans Vorschub leistet. Weiterhin muss ich festellen, dass das Auftreten und die Kleidung einiger Fans ihnen in Deutschland das Attribut “Neonazi” einbringen würde. Ich weiß aber zu noch zu wenig über die ukrainische Fankultur, als dass ich einschätzen kann, warum jemand hier ein Hemd mit Runen trägt. Aber ein Hitlergruß bleibt ein Hitlergruß.

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Während des Spiels versuchte die Stadionleitung mehrfach, die Fans vom Singen Putin-feindlicher Gesänge abzuhalten, erst durch Lautsprecherdurchsagen, dann durch das Einspielen von Applaus, der die Gesänge übertönte. Ein Katz-und-Maus-Spiel.

017aDas Spiel endete letztendlich 2:1 für Kharkov, was ein nicht unverdientes Ergebnis war, da die Gäste lediglich eine echte Torchance hatten, und diese auch noch durch einen fragwürdigen Elfmeter. Die Fangesänge, die regelmäßig in einen anti-russischen Chorus endeten und die Abwesenheit der Hälfte der heimischen Ultras, die wohl noch mit Straßenschlachten beschäftigt waren, zeigten, dass das Spiel für die Fanblöcke eher Nebensache war. Es war vielmehr Anlass zu pro-ukrainischem Gemeinsinn.

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Tscherno vs. Dnepr http://www.hntrlnd.de/?p=369 http://www.hntrlnd.de/?p=369#comments Mon, 21 Apr 2014 07:46:28 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=369 mal wieder anstellen

mal wieder anstellen

Jens war noch nie(!) in seinem Leben bei einem Fußballspiel und ich freue mich sehr, dass ich dabei bin, als er ausgerechnet in der Ukrainie entjungfert wird, was das Ballspiel betrifft. Nach zwei Bier fängt er an, mitzuschreien. Ich habe mir zum ersten Mal einen Fußballschal gekauft; für vier Euro konnte ich nicht widerstehen.002Heute spielt der fünfte der ersten ukrainischen Liga gegen den zweiten – hier mehr Infos. Zwei recht wohlhabende Vereine aus zwei recht wohlhabenden Städten. Während Dnipro wohl das Borussia Dortmund der Ukraine ist und noch um die Meisterschaft gegen den übermächtigen Gegner aus Donezk kämpft, hat Tschernomorez in den letzten Jahrzehnten eine wechselvolle Geschichte zwischen Uefa-Pokal, Abstieg, Aufstieg und Pokalsieg hinter sich. Das Logo ist ein Anker – als Mannschaft der größten ukrainischen Hafenstadt schon fast absehbar.

005Während die Hausherren eher „durch den Kampf ins Spiel finden“, versucht Dnepr mit Kurzpassspiel zum Tor zu gelangen. Was auch gelingt – aber Abseits. Zwei Minuten später Latte. Dann Tscherno mit einem durchaus geschickt gekonterten Flügelangriff – Tor! Kurz darauf bekommt einer von Tscherno einen Schuh aber ordentlich ins Gesicht und bleibt liegen (zurecht), die eigene Mannschaft spielt den Ball ins Aus für eine Behandlungspause. Was Dnepro nicht davon abhält, einfach weiterzuspielen und in der Verwirrung das Gegentor zu machen. Großes Gerangel, die beiden Trainer schubsen sich gegenseitig und beschimpfen sich, der Schiri fragt den Assistenten – kein Tor! Das Stadion bebt. In der zweiten Halbzeit versucht Dnepro alles, aber starke 15 Minuten reichen nicht und zum Schluss donnert Tscherno den Ball einfach nur noch nach vorn. Acht gelbe Karten später geht Tscherno mit drei Punkten verdient nach Hause. Soviel zum Spiel.

007Das Stadion in Odessa wurde ab 2008 für 100 Millionen Euro komplett neu gebaut und war als Ersatzspielstätte für die EM 2012 vorgesehen. Bezahlt wurde alles angeblich vom Eigentümer des Vereins. Obwohl das Stadion direkt am Schwarzen Meer steht und Odessa auch sonst viel zu bieten hat, haben bis auf einen einzigen alle ausländischen Spieler ihre Verträge bei Tscherno mit Beginn der „Ereignisse“ im Land aufgelöst und sind einfach nach Hause gegangen. Dieser eine Verbliebene macht dann auch das einzige Tor – welch Wink des Schicksals.

Auch wenn beim Fußball überall auf der Welt elf gegen elf 90 Minuten den Ball treten, so ist das, was sich hier auf den Rängen abspielt, nicht ganz mit dem zu vergleichen, was sich in Deutschland als Fußballkultur darstellt.003In erster Linie ist erstaunlich, dass beide Fanblöcke vorm Spiel Einigkeit demonstrieren, indem sie gemeinsam und im Kanon „Slava Ukraine – Gerojem Slava!“ (Slava = Ruhm, Geroi = Held) anstimmen. Auch scheint der Fußball hier sehr mit einer politischen Aussage verbunden, das zeigen die zahlreichen ukrainischen Landesfahnen. Zudem wird vorm Spiel von allen Anwesenden die ukrainische Nationalhymne gesungen, aus voller Kehle, mit wehenden Fahnen und Hand auf der Brust. Verständlich bei einer Nation mit Minderwertigkeitskomplex. In Deutschland wäre das alles undenkbar – da müsste wohl erst unsere staatliche Einheit akut bedroht sein, damit keiner mehr von den „Scheiß-Bayern“ spricht und St.Pauli- und Hansa-Fangruppen nicht aufeinander einprügeln wollen. Diese Verbrüderung geht natürlich nur bis zum Anpfiff. Aber auch sonst ist keinerlei Aggressivität zwischen den Spielern und Fans zu spüren, so als ob sie einen Nichtangriffspakt außerhalb des Rasens geschlossen hätten, weil sie gegen einen übermächtigen Gegner spielen. Und das tun sie ja augenscheinlich auch.
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Notiz zum Schluss: Nach der Halbzeitpause ist das Stadion doppelt so voll wie vorher, da man nun kostenlos reinkommt. Auf dem Heinweg im Supermarkt treffen sich zwei Fans der Heimmannschaft und begrüßen sich augenzwinkernd mit “Slava Rossia!”. Bei aller Problematik der “Ereignisse” scheinen sich die Menschen noch ein Stück Witz erhalten zu haben. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

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