Metallist vs. Dnipro

015Gestern wurden wir Zeuge einer im ukrainischen Fußball nicht neuen, aber ungewöhnlichen Situation: Die ansonsten verfeindeten Ultra-Gruppen der Erstliga-Vereine Metallist Kharkov und Dnipro Dnipropetrovsk trafen sich anlässlich des Duells beider Mannschaften zu einem gemeinsamen und friedlichen Marsch vom Platz der Verfassung zum Stadion in Kharkov.

009Der Marsch setzte sich nach dem Singen der ukrainischen Hymne in Bewegung und es vergingen keine fünf Minuten, da brannten die ersten Pyros, wurden die ersten Kanonenböller abgefeuert, Autoalarmanlagen heulten, Hunde bellten, diverse, aber zahlreiche Ordnungskräfte begleiteten das Spektakel eher beiläufig und stimmten gelegentlich in die pro-ukrainischen Gesänge ein. Nicht nur Fußballfans und Ultras gehörten dieser Demonstration an, sondern auch normale Bürger der Stadt.

007Im Allgemeinen fand jedoch eine für deutsche Verhältnisse undenkbare Vereinnahmung des Fußballs für politische Zwecke statt. Für derzeitige ukrainische Verhältnisse ist das durchaus verständlich, denn wie bereits in Odessa hat man hier das Gefühl, dass beide Fangruppen gegen einen übergeordneten Gegner ankämpfen, den sie nur gemeinsam besiegen können. Der Nationalismus, der hier durch die Fans gezeigt wird, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, sondern hat sich erst in den letzten Wochen und Monaten entwickelt und wurde direkt, als auch indirekt befeuert durch die aus ukrainischer Sicht andauernde Bedrohung des ehemals großen Bruders. Vor den Ereignissen der letzten Zeit wäre es schier undenkbar gewesen, dass sich ein ukrainischer Ultra für politische oder nationalistische Zwecke in irgendeiner Weise hätte vereinnahmen lassen.

013Doch ebenso festzustellen war, dass die gesamte Aktion auf mediale Wirkung abzielte, denn alles machte einen geplanten Eindruck, nahezu mit einer Choreographie versehen, aber das kennt man ja von gut organisierten Fanblocks, nur eben nicht in diesem Ausmaß und über Vereinsgrenzen hinweg.

016Als dann das Gerücht aufkam, das ca. 400 pro-russisch gesinnte Fans auf dem Weg in Richtung der Demonstration seien, erfasste die Menge erst eine gespenstische Stille, dann lag plötzlich und merkbar das Gefühl in der Luft, dass „gleich was passiert“. Und so war es denn auch; die Marschroute wurde geändert und die meist vermummten Ultras bewegten sich in Richtung der pro-russischen Fans, um sich schließlich mit ihnen blutige Straßenschlachten zu liefern. Steine flogen, Autos und Scheiben gingen zu Bruch, Blaulicht, viel wurde spekuliert, Menschen mit Kindern brachten sich in Sicherheit.

017Die Verbrüderung der Fangruppen hielt diesmal auch während des Spiels an, so wurde zu Beginn jeder Halbzeit gemeinsam die ukrainische Nationalhymne angestimmt und wie bereits in Odessa wurden kanon-artige Chöre mit „Slava Ukraina! Gerojem slava!“ gesungen. Nach dem Spiel wurde der Fanblock der unterlegenen Mannschaft sogar vom anderen Fanblock mittels Applaus verabschiedet.

Hinzu kamen, sowohl vor als auch während des Spiels zahlreiche eindeutige Schmähsprüche in Richtung Wladimir Putin, in denen er mal als aktiv, mal als passiv homosexuell bezeichnet wurde, was aber auch eine Aussage über die Homophobie in den Fankreisen ist, wobei die homophobe Politik des heutigen Russlands solchen Slogans Vorschub leistet. Weiterhin muss ich festellen, dass das Auftreten und die Kleidung einiger Fans ihnen in Deutschland das Attribut “Neonazi” einbringen würde. Ich weiß aber zu noch zu wenig über die ukrainische Fankultur, als dass ich einschätzen kann, warum jemand hier ein Hemd mit Runen trägt. Aber ein Hitlergruß bleibt ein Hitlergruß.

Während des Spiels versuchte die Stadionleitung mehrfach, die Fans vom Singen Putin-feindlicher Gesänge abzuhalten, erst durch Lautsprecherdurchsagen, dann durch das Einspielen von Applaus, der die Gesänge übertönte. Ein Katz-und-Maus-Spiel.

017aDas Spiel endete letztendlich 2:1 für Kharkov, was ein nicht unverdientes Ergebnis war, da die Gäste lediglich eine echte Torchance hatten, und diese auch noch durch einen fragwürdigen Elfmeter. Die Fangesänge, die regelmäßig in einen anti-russischen Chorus endeten und die Abwesenheit der Hälfte der heimischen Ultras, die wohl noch mit Straßenschlachten beschäftigt waren, zeigten, dass das Spiel für die Fanblöcke eher Nebensache war. Es war vielmehr Anlass zu pro-ukrainischem Gemeinsinn.

4 Gedanken zu „Metallist vs. Dnipro

  1. Man kennt in Deutschland etwas Ähnliches. In der DDR kam einer der ersten offen formulierten Proteste gegen das Regime — von 53 mal abgesehen — aus den Fanblocks der Fußballstadien. In Ägypten war es zuletzt nicht anders, wo sich verfeindete Fangruppen zusammen schlossen. So kamen auch In der Ukraine viele der Aufständischen aus den Ultrà-Gruppen, die aneinander schon immer — ohne es zu wissen — den Aufstand und den Straßenkampf geprobt haben. Die Innenminister haben guten Grund, durch hohe Strafgelder und “Hochsicherheitsspiele” einen Kuschelfußball zu erzwingen.
    Dass diese Ultràs oft rechte Symbole aufrufen, ist in den historischen Feindbildern begründet. Wie in der DDR und der Ukraine der Feind das kommunistische Regime war, wurde auf den “linken” Feind mit “rechts” geantwortet. Darum waren auch eher die deutschen Ostmannschaften von “rechtem Gedankengut” betroffen. Das sind also zunächst, glaube ich, eher Symbole des Widerstands als Symbole der Ideologie, auch wenn sie dann durch Parteien und Organisationen politisch vereinnahmt werden. Wäre interessant, dazu etwas Genaueres zu erfahren.

    1. Stimme Martin zu. Mit “rechts” auf “links” zu antworten ist Provokation und Abgrenzung. Man nehme eine Position ein, die den größtmöglichen Abstand zum “Feind” darstellt. Blöd nur, dass man dann die echten von den Teilzeitnazis nicht mehr unterscheiden kann…

    2. Ich kenne die ehemalige DDR-Fanszene ganz gut und war teil dieser. Übrigens gab es auch andere Formen der Distanzierung zur DDR als Nazischeiß zu kultiviern. Bei weitem nicht alle waren so drauf, es waren eher die geistig weniger bestückten.
      Und dumm nur, dass die hier auf dem Video um die 20 sind und die Sowjetunion gar nicht mehr erlebt haben. Das fällt also als “Rechtfertigung” aus, die auch dann keine wäre.
      Es gibt KEINE Rechtfertigung dafür, die SS-Divison Galizien und einen Herrn Bandera zu feiern.. Genau das tuen die grandiosen Widerstandskämpfer im Video zu 100%, jede Wette. Bäh.

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