Tscherno vs. Dnepr

mal wieder anstellen

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Jens war noch nie(!) in seinem Leben bei einem Fußballspiel und ich freue mich sehr, dass ich dabei bin, als er ausgerechnet in der Ukrainie entjungfert wird, was das Ballspiel betrifft. Nach zwei Bier fängt er an, mitzuschreien. Ich habe mir zum ersten Mal einen Fußballschal gekauft; für vier Euro konnte ich nicht widerstehen.002Heute spielt der fünfte der ersten ukrainischen Liga gegen den zweiten – hier mehr Infos. Zwei recht wohlhabende Vereine aus zwei recht wohlhabenden Städten. Während Dnipro wohl das Borussia Dortmund der Ukraine ist und noch um die Meisterschaft gegen den übermächtigen Gegner aus Donezk kämpft, hat Tschernomorez in den letzten Jahrzehnten eine wechselvolle Geschichte zwischen Uefa-Pokal, Abstieg, Aufstieg und Pokalsieg hinter sich. Das Logo ist ein Anker – als Mannschaft der größten ukrainischen Hafenstadt schon fast absehbar.

005Während die Hausherren eher „durch den Kampf ins Spiel finden“, versucht Dnepr mit Kurzpassspiel zum Tor zu gelangen. Was auch gelingt – aber Abseits. Zwei Minuten später Latte. Dann Tscherno mit einem durchaus geschickt gekonterten Flügelangriff – Tor! Kurz darauf bekommt einer von Tscherno einen Schuh aber ordentlich ins Gesicht und bleibt liegen (zurecht), die eigene Mannschaft spielt den Ball ins Aus für eine Behandlungspause. Was Dnepro nicht davon abhält, einfach weiterzuspielen und in der Verwirrung das Gegentor zu machen. Großes Gerangel, die beiden Trainer schubsen sich gegenseitig und beschimpfen sich, der Schiri fragt den Assistenten – kein Tor! Das Stadion bebt. In der zweiten Halbzeit versucht Dnepro alles, aber starke 15 Minuten reichen nicht und zum Schluss donnert Tscherno den Ball einfach nur noch nach vorn. Acht gelbe Karten später geht Tscherno mit drei Punkten verdient nach Hause. Soviel zum Spiel.

007Das Stadion in Odessa wurde ab 2008 für 100 Millionen Euro komplett neu gebaut und war als Ersatzspielstätte für die EM 2012 vorgesehen. Bezahlt wurde alles angeblich vom Eigentümer des Vereins. Obwohl das Stadion direkt am Schwarzen Meer steht und Odessa auch sonst viel zu bieten hat, haben bis auf einen einzigen alle ausländischen Spieler ihre Verträge bei Tscherno mit Beginn der „Ereignisse“ im Land aufgelöst und sind einfach nach Hause gegangen. Dieser eine Verbliebene macht dann auch das einzige Tor – welch Wink des Schicksals.

Auch wenn beim Fußball überall auf der Welt elf gegen elf 90 Minuten den Ball treten, so ist das, was sich hier auf den Rängen abspielt, nicht ganz mit dem zu vergleichen, was sich in Deutschland als Fußballkultur darstellt.003In erster Linie ist erstaunlich, dass beide Fanblöcke vorm Spiel Einigkeit demonstrieren, indem sie gemeinsam und im Kanon „Slava Ukraine – Gerojem Slava!“ (Slava = Ruhm, Geroi = Held) anstimmen. Auch scheint der Fußball hier sehr mit einer politischen Aussage verbunden, das zeigen die zahlreichen ukrainischen Landesfahnen. Zudem wird vorm Spiel von allen Anwesenden die ukrainische Nationalhymne gesungen, aus voller Kehle, mit wehenden Fahnen und Hand auf der Brust. Verständlich bei einer Nation mit Minderwertigkeitskomplex. In Deutschland wäre das alles undenkbar – da müsste wohl erst unsere staatliche Einheit akut bedroht sein, damit keiner mehr von den „Scheiß-Bayern“ spricht und St.Pauli- und Hansa-Fangruppen nicht aufeinander einprügeln wollen. Diese Verbrüderung geht natürlich nur bis zum Anpfiff. Aber auch sonst ist keinerlei Aggressivität zwischen den Spielern und Fans zu spüren, so als ob sie einen Nichtangriffspakt außerhalb des Rasens geschlossen hätten, weil sie gegen einen übermächtigen Gegner spielen. Und das tun sie ja augenscheinlich auch.
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Notiz zum Schluss: Nach der Halbzeitpause ist das Stadion doppelt so voll wie vorher, da man nun kostenlos reinkommt. Auf dem Heinweg im Supermarkt treffen sich zwei Fans der Heimmannschaft und begrüßen sich augenzwinkernd mit “Slava Rossia!”. Bei aller Problematik der “Ereignisse” scheinen sich die Menschen noch ein Stück Witz erhalten zu haben. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

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