hntrlnd » Der Nase nach http://www.hntrlnd.de Lenin, Leute, Brot und Spiele Fri, 27 Jun 2014 19:11:05 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8.1 Wozu Baku? http://www.hntrlnd.de/?p=874 http://www.hntrlnd.de/?p=874#comments Sat, 24 May 2014 15:59:21 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=874 Eindeutig noch keine Saison

Eindeutig noch keine Saison

Dieser Präsident, dessen Namen ich mir nicht merken will (obwohl es der gleiche Nachname sein wird wie der seines Vaters, welcher bereits die AsSSR regierte und dann, wie sein Sohn, demokratisch immer wieder gewählt wurde – wen interessiert der Apparat dahinter?) grinst und winkt aus allen Ecken. Zumindest seine Person weckt den Anschein einer ständigen Dauerfröhlichkeit, die Aserbaidschan beseelt. Das Umland, welches der auf unserer Reise erste klimatisierte Zug durchfährt, kann man wohl Steppe nennen. Abgesehen davon einige Raubvögel und eingemauerte Bauernhöfe. Die Dorfbar an einem der Bahnhöfe ist auch Nachts recht gut besucht, nur Männer.

Und ständig grüßt der Präsident

Und ständig grüßt der Präsident

Schon bei Zugeinfahrt stellen wir fest, Baku ist auf Hochglanz poliert. Später beim Besuch der Stadt: Die Hafenpromenade ist weitläufig. Nicht mehr das übliche Bild von Kiosken mit dem Warenangebot, welches sich alle 100 Meter wiederholt und an welches wir uns in Georgien gewöhnt hatten. Stattdessen vollklimatisierte Einkaufstempel mit KFC und Mc Donalds. Dazwischen die üblichen hochpreisigen Klamotten- und Parfümläden. Straßenunterführungen für Fußgänger mit Rolltreppen und Förderband (Siemens-Nixdorf).

Schöne neue Investorenwelt

Schöne neue Investorenwelt

In der Altstadt wurden sämtliche relevanten Stätten mit Museen ausgestattet, die keine historische Information auslassen. Auf transparenten OLED- Displays werden 3D-Grafiken angezeigt, die jedes historische Gebäude oder Utensil animieren, per Touch werden Detailinformationen angezeigt. Lichtdesigner haben sich damit beschäftigt, wie jede Ecke des frisch sanierten Palastes und des Maiden-Towers interessanter erscheinen, als es der originale Stein hergeben würde. Interaktiver Info-Lifestyle für zwei Euro Eintritt. Kurz vor unserer Abreise sah ich eine Reportage über Aserbaidschan auf NTV – „Das Land des Feuers“. Viel Gutes wurde eine Stunde lang berichtet, europafreundlich, ein säkularisiertes, muslimisches Land. Die Feuer des ständig ausströmenden Gases wurden gezeigt, ein wenig Folklore gut inszeniert. Kein „Aber“, nicht Negatives, Investoren müssen in dieses Land kommen. Mich beschäftigte die Frage, ob Staaten sich Reportagen auf NTV finanzieren können. Der Gedanke liegt heute nicht ferner, denn in den vier Tagen Aserbaidschan habe ich auf keiner der vielen Werbetafeln etwas Anderes entdeckt, als das mich angrinsende Konterfei des Präsidenten, oder einen Hinweis auf die tolle Stadt, in welcher doch jeder Investor glücklich werden könne. Vielleicht sollte sich Aserbaidschan mal zwischendurch Coca-Cola Werbung einkaufen, damit es nicht so auffällt. Ich bin in einem Staat mit einem enormen Werbeetat. Unser Gastgeber lächelt darüber: „Seht ihr, wie der Präsident aussieht? Als würde er sagen: ‘Ich zeigs euch allen’“.

Vorstadtteiler

Vorstadtteiler

Die Infrastruktur hat sich stark verändert, Straßen wurden zu großen Autobahnen ausgebaut, die auch die Vorstädte durchziehen und zerteilen. Unser Gastgeber war Lehrer, arbeitet jetzt für eine NGO und verdient das dreifache. „Aber Lehrer, Ärzte und Polizei gehören doch auch zur Infrastruktur dazu?“ frage ich, „Warum werden denen keine höheren Gehälter gezahlt?“ „Weiß ich nicht, naja die Polizisten haben es besser, deren Lohn ist stark gestiegen.“

Kein Kafee am Strand

Erstmal kein Kaffee am Strand

Östlich von Baku werden jetzt im Mai die Strände für die Saison vorbereitet. Ganze Strandzeilen werden mit Holzhütten bebaut. Dabei scheint man sich Strandstücke mieten zu können, um diese dann für die Gäste herzurichten. Der Müll der letzten Saison mischt sich zwischen den Bauarbeiten mit der angeschwemmten Plastik. Berge von PVC werden durch die schmalen Straßen zwischen den hohen Mauern der hinter dem Strand liegenden Grundstücke getrieben. Es muss noch viel entsorgt werden, bis die neue Saison beginnt.

Unser Meer soll sauber bleiben - jedenfalls an der Hafenpromenade

Unser Meer soll sauber bleiben – jedenfalls an der Hafenpromenade

Dagegen stört keine Plastikflasche das Bakuer Stadtbild. Ein Boot fährt vor der Promenade, zwei Arbeiter hängen über der Reling und sammeln Müll von der Wasseroberfläche. In der Stadt gibt es Mülltrennung. Ich muss mich fast überwinden, um den nächsten Zigarettenstummel mit meinen Schuhen auszutreten und liegenzulassen. Junge Männer sitzen in geschneiderten Jeans hinter dem Lenkrad ihrer deutschen Luxuskarossen mit V-förmig angeordnetem Motor. Unser Gastgeber sagt: „Das sind die Söhne der Minister und der Freunde der Minister.“. Er grinst dabei. Dann setzen wir uns in seinen sechs Jahre alten Hyundai und fahren 20 Kilometer raus aus der Stadt zu seinem riesigen Eigenheim.

Warum Baku?

Wozu Baku?

Die zweite Etage gehört uns. Es gibt kostenlos viel zu hochprozentigen Samagon, hergestellt aus den Weinreben, die den Garten überdachen. Hier kann man zwei Tage Ferien machen, das „Magasin“ bietet die nötigsten Lebensmittel, keine Importware. Einen Opa treffen wir regelmäßig auf der Dorfstraße. Er sitzt auf einem Pferdewagen und grüßt uns lachend. Da es kein Pferd gibt, hat er eine in der Türkei sehr verbreitete Erfindung davor gespannt: Ein Rad, ein Lenker und ein kleiner Motor dazwischen. Der Umstieg ist bestimmt nicht schwer gefallen. Warum sollte ich bei unserem kurzen Aufenthalt in Aserbaidschan hier weg wollen?

Irgendwann wird er wieder fahren, auch ohne Maßanzug hinter dem Lenkrad.

Irgendwann wird er wieder fahren, auch ohne Maßanzug hinter dem Lenkrad.

Das piefige Baku kann ruhig die Morgenstunden vor dem Schminkspiegel verbringen, deshalb muss ich es mir nicht nochmal ansehen wollen.

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Der Versuch, zu verstehen http://www.hntrlnd.de/?p=296 http://www.hntrlnd.de/?p=296#comments Thu, 17 Apr 2014 19:13:44 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=296 Das dritte AugeAls ich versuche, die Oper der Stadt in meine 50mm Festbrennweite zu stopfen, was an ihrer schieren Größe und der Starrheit meines Blicks scheitert, werde ich angesprochen. Erst auf ukrainisch, ich verneine nett in russisch. Dann in russisch. Ich verneine wieder. Dann polnisch. Dann englisch. Jetzt verstehe ich. Ein „Guide“ bietet uns seine Dienste an, die ich nach kurzem Verhandeln auch annehme.
Was ich lerne:
Lviv hat ca. 800.000 Einwohner, die sich in einer der über 100 Kirchen und Kathedralen der Stadt die Segnung in diversen Glaubensrichtungen abholen können. Ukrainische Katholiken, armenische Christen, Kopten, Russisch-orthodoxe, Griechisch-Orthodoxe und noch viel mehr. Mein atheistisches Verständnis reicht in Glaubensfragen aber nicht sehr weit, muss ich zugeben. Eins verstehe ich: Die Stadt ist seit Jahrhunderten ein riesiger Schmelztiegel aus Religionen und Ethnien, die sich vermischten oder auch nicht, die sich vertrugen oder auch nicht, die sich gegenseitig umbrachten oder auch nicht. Besonders bemerkenswert sind die Armenier, die sich ab dem 14. Jahrhundert erfolgreich in Lviv etabliert hatten, mit eigener Rechtsprechung, einem eigenen Viertel, einer eigener Akademie. Heute sind davon nur noch gepflegte Reste vorhanden. Ob das mit dem Genozid durch die Türken zu tun hat oder mit dem Stalinismus, mag ich nicht beantworten, bevor ich nicht in Armenien war. Vorm 2. Weltkrieg gab es zudem eine große jüdische Gemeinschaft; von den ehemals 100.000 Juden sind heute alle tot oder weggebracht und nie wieder zurückgekehrt. Was bleibt, ist eine Ruine und ein Restaurant, was zwar nicht koscher kocht, aber immerhin eine Menora am Eingang stehen hat. Vielleicht ist der Kellner ja wenigstens beschnitten.

Reste der jüdischen Synagoge Jüdisches Graffito in Lviv Vor Ostern wird geputzt! Armenische Kirche Geister kennt doch jeder Hallo Echo. Weiß, die Farbe der Reinheit Blau, die Farbe der ukrainischen Katholiken

Im besten Hotel der Stadt soll mal der Schah von Persien für eine Woche mit seiner Familie untergebracht worden sein. Als es ums Bezahlen des eigens für ihn geräumten Hotels ging, schlug er vor, statt Geld eine Auszeichnung zu verleihen. Daraufhin brach wohl die gesamte Führungsetage des Hotels in Geheul aus. „Bloß keine Auszeichnung, wir wollen lieber Geld!“

Als ich zum Schluss noch ein wenig rumkumpeln will und mich auf russisch bedanke, bekomme ich mit einem scharfen Lächeln unseres Guides Igor die ukrainische, korrekte und gewünschte Variante genannt, die ich mir aber leider nicht merken konnte, lediglich einmal nachplappern. Wenn mal jemand einen guten Guide in Lviv braucht: hier gucken

Was ich selbst sehen konnte: In Lviv finden sich keine Windräder, keine Solarzellen, keine Fahrradfahrer (außer ein paar Jugendlichen, die ihr Fahrrad in Abwesenheit eines eigenen Autos mit Baumarkt-Ersatzteilen aufrüsten), keine Supermärkte, keine Vorfahrt für die rostige Straßenbahn.

Es finden sich auch keine adipösen Menschen außer ein paar beleibten Babushkas und Polizisten, und das, obwohl es kein „Bio“ gibt, keine westeuropäische, als modern behauptete Luxusaskese. Während wir nach Wohlbefinden suchen durch Weglassen, scheint sich Gesundheit hier in erster Linie über den Zugang zu Nahrhaftigkeit zu definieren. Es wird in Fett gebacken, Speck wird am Stück gegessen, Transfette werden hingenommen, Fleisch ist gut und billig.
Was sich ebenfalls nicht findet, sind Lenin-Statuen, die ich erwartet hätte. In der gesamten West-Ukraine soll es wohl keine mehr geben nach den „derzeitigen Ereignissen“, wie man das hier nennt.
Dafür finden sich an jeder Ecke Kinder, allein, ohne Eltern, welche um sie rumhelikoptern oder mit dem Smartphone Bilder zum Angeben bei anderen Smartphone-Eltern schießen. Die Kinder spielen einfach so, ohne Internetverbindung, auf Spielplätzen, deren rostige Metallstangen und abgeblätterte Bleifarbe jedem Sicherheitsbeauftragten in Deutschland den Job kosten würde, wenn das nicht sofort abgesperrt würde.

Auf dem Rynok dann alte Frauen, die Milch in gebrauchten Pepsi-Flaschen und selbstgepflückte Blumen feilbieten. 150 Gramm gesalzener Speck für neun, ein Stück Käse für 13, 500 Gramm besten Schinken für 60, ein großes Weißbrot für fünf Griwna. Macht 87 Griwna, also ca. sechs Euro. Das hätte nicht für den Schinken gereicht in Deutschland. Es hätte ihn auch gar nicht gegeben, da er so lecker schmeckt, das muss was drin sein, was bei uns nicht erlaubt ist.

Eins lerne ich dann aber doch noch: Wenn ich frage, ob etwas erlaubt ist, dann ist es verboten. Wenn ich nicht frage und einfach mache, dann ist es zwar immer noch nicht erlaubt, aber keiner stört sich dran.

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Gde nachoditsa Wogsal? http://www.hntrlnd.de/?p=284 http://www.hntrlnd.de/?p=284#comments Thu, 17 Apr 2014 18:32:54 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=284 header
Halbzehn, auf zum Bahnhof, Zugtickets kaufen. Die grobe Richtung kennen wir, gestern waren wir bereits da, ich stellte mich am ersten Schalter an und erfuhr dort, welcher Schalter der richtige gewesen wäre, also Anstellen bei Schalter Nummer Neun. Beim Anstehen kommt es auf die richtige Erziehung an, einmal noch kurz die Freiheit einatmen und dann stehen, in der Schlange, Geduld üben, langsam ein- und ausatmen. Dirk fing schnell an herumzutänzeln: “Ich geh rüber zur Information, da ist keine Schlange. Ich frag mal, ob wir das auch online machen können.” Nach kurzer Zeit kam er zurück mit einem Zettel: “Hier, hör auf hier rumzustehen, die Angestellte war sehr freundlich und hat mir alles aufgeschrieben.” Also ab ins Domizil, online buchen. Es regnete heftig, wir nahmen ein Taxi. Der Taxifahrer gab 50 Grivna als Beförderungspreis an, wir fuhren los, ich redete mit Dirk Belangloses.
“Crash, zwei Autos.” sagte der Fahrer.
“Du redest deutsch?” fragte ich. “Hmm”, antwortete er “keine Praxis”
“Und woher?” “Vater arbeitete früher im Reich.” dabei umkurvte unser Fahrer milimetergenau Busse. “1941, fünf Jahre hat Vater gearbeitet im Reich.” Er grinste, wenn er ‘Reich’ sagte.
“Musste er arbeiten?” fragte ich. Er guckte fragend zurück.
“On dolschen rabotatch, ili on rabotal?” “Rabotal!”
Bei der Netzbuchung stellte Dirk fest, das man nur mit Kreditkarte zahlen kann. Wir haben keine und waren sauer. Auch Vorbuchen war nicht möglich. “Erste Maßnahme nach dem Aufstehen, wieder zurück zum Bahnhof.” stellten wir fest. “Ich stelle mich an und Du machst irgendwas anderes.” sagte ich zu Dirk.
Die grobe Richtung kennen wir also, ich schreite voran. Dirk hat Hunger, ich auch. “Ich würde gerne erst die Tickets erledigt haben” sage ich und schlage voranschreitend die Straßen vor, die wir nehmen sollten. Die grobe Richtung kennen wir ja, allerdings habe ich mich schnellstens komplett verlaufen.
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An der Polnischen Botschaft stehen schätzungsweise 200 Menschen. Ein etwas entfernt stehender Bauwagen bietet die Erstellung von Passbildern an. Vereinzelt werden wir auf Ukrainisch nach Etwas gefragt, was sich mir nicht erschließt, ich verstehe die ganze Ansammlung nicht und ich will zum Bahnhof. Viel zu spät bemerken wir, dass der inzwischen eingeschaltete Handyroutenplaner uns wohl eher zum Güterbahnhof lenkt. Das Industriegebiet, das vor uns liegt, ist Hinweis genug für Dirk, eine solche Vermutung zu äussern. Ein längst ungebrauchter Wasserturm steht zwischen hohen, wilden Bäumen.
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Der Taxifahrer an der nächsten Bushaltestelle bringt uns gerne zu unserem eigentlichen Ziel. Im Radio mit russischer Moderation werden die Präsidentschaftskandidaten vorgestellt, der Fahrer bekreuzigt sich.
“Kto tui dumaesch, budet Präsident?” frage ich ihn. “Poroschenko” ist seine Antwort. “I komu tui chotschesch?” “Nu, Poroschenko.”
Ich befrage ihn im gebrochenen Russisch ein wenig weiter und er antwortet: Als er klein war, ist er mit seinen Eltern oft auf die Krim gefahren. Er würde gerne auch mit seinen Kindern da hin, aber das geht ja nun nicht mehr. Putin hat die Situation verursacht. Natürlich gibt es einen Apparat, aber Putin bleibt am Ende der Verantwortliche. Zur Nato kann er nichts sagen. Ja, mit der Zeit könnte das Miliär die Macht in Russland übernehmen, wenn es so weitergeht. Nein, einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird es nicht geben.
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Vor Schalter Nummer Neun stehen zwei Kunden. Ich bin beruhigt, Dirk bestimmt auch. Es geht schnell, ich kaufe zwei Tickets für die Fahrt nach Odessa. Die Englischkenntnisse der Schalterfrau reichen aus. Irgendwie ist mir gerade nicht nach Kommunikation auf Russisch.

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Sibirische Fischsuppe http://www.hntrlnd.de/?p=160 http://www.hntrlnd.de/?p=160#comments Mon, 17 Feb 2014 21:16:44 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=160 Ich habe das nur rudimentär verstanden. Aber der alte Mann, dessen Namen ich heute schon vergessen habe, sagte, er sei nach dem zweiten Weltkrieg aus einem Arbeitslager in Zentral-Sibirien auf die Krim gelaufen. Er wohnte für sich allein ein Stück außerhalb eines kleinen Dorfes am Asowschen Meer, fast siebzig, braungebrannt, sportlich und die Finger an seiner rechten Hand gelbbraun vom Rauchen. Er machte Fischsuppe, indem er zwei Fische, die er geangelt hatte, mit einem gekonnten Schnitt am Bauch aufschlitzte, sie samt Kopf und herausgetrennten Eingeweiden zu ein paar Möhren und Petersilie in einen Topf warf und die halbe Stunde Kochvorgang mit dem Trinken von Konjak und dem Drehen und Rauchen von Zigaretten ohne Filter überbrückte. Unter seinem offenen Hemd schimmerte das Gesicht Lenins durch, was er sich selbst auf seine Brust tätowiert hatte. Ich nahm ein gekochtes Fischauge zwischen die Zähne und ließ es platzen. Es schmeckte hervorragend.

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Tscheremscha! http://www.hntrlnd.de/?p=168 http://www.hntrlnd.de/?p=168#comments Wed, 18 Nov 2009 07:58:10 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=168 “Das sind Bohnen” kaute André, der Deutschrusse, Projektleiter unserer Expedition auf der Krim. “Nein, ist es nicht” erwiderte ich. “Das ist Tscheremscha, Knoblauchgras nenn ichs.” “Na, irgendwas mit Bohnen ist es doch.” Gibt es auf jedem Ruinok, stinkt wirklich intensiv nach Knoblauch, sauer eingelegte Bergknoblauchstengel, wie ich durch Recherche für diesen Text herausfand. “Kak nasiwajut eto?” fragte ich beim nächsten Besuch die alte Oma hinter ihrem Stand und zeigte auf beschriebene Bohnen. Als sie mit ihren drei übrigen Zähnen “Tscheremscha” geantwortet hatte, kaufte ich grinsend ein, ich Klugscheißer.

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Schon wieder der Staatsanwalt http://www.hntrlnd.de/?p=157 http://www.hntrlnd.de/?p=157#comments Tue, 17 Feb 2009 20:49:04 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=157 Er war selbst noch nie dort, aber es soll da ganz hervorragendes Essen geben – unser Freund Igor hat uns ins – laut seiner Aussage – beste Restaurant der Stadt eingeladen. Letztendlich musste ich vor dem Essen dort flüchten und esse gerade ein warmes Brötchen gefüllt mit Hack, Zwiebeln und Knoblauch am tatarischen Straßenimbiss. In der Hand sieht es aus, als hätte ich in ein Aliengehirn gebissen. Aber von vorn:
Das Schild mit dem Namen des besten Ladens der Stadt konnte ich nicht lesen, da es nicht beleuchtet war. Will heißen: die Lampe war kaputt. Also keine Absicht. Im Vorraum des Kellers, in dem sich das Restaurant befindet, begrüßte mich ein hagerer Mann in den verzweifelten 50ern, der an einen Eisverkäufer in den 90ern im Leipziger Capitol erinnerte. Sein ehemals weißes Hemd war milchig wie seine Zähne; sein asymmetrisches, krudes Gesicht auf seltsame Art liebenswürdig. Der arme Mann, musste hier Jacken aufhängen, für uns, die einzigen Gäste.
Im Gastraum erwarteten mich drei Damen, die hier zu arbeiten schienen. Oder einfach abhingen, wie der Typ im Vorraum unsere Jacken. Ein Kühlschrank ohne Tür arbeitete gegen die Zimmertemperatur. An der Bar hatte seit Ewigkeiten keiner mehr gesessen, denn auf ihr befand sich ein buntes Stelldichein diverser Kunstblumen, die nicht mehr an die Wände des Ladens gepasst hatten. Aber es gab eine Speisekarte. Ich bestellte einen Salat mit Pilzen, eine Fischsoljanka und Schweinefleisch, wieder mit Pilzen. Das war das einzige, was ich nehmen konnte, denn Stör, Rind und Wild sind anscheinend gerade aus. Jedes Essen für sich war nahezu ungenießbar, ohne jetzt auf jede schlechte Einzelheit eingehen zu wollen. Das würde ich mir nicht mal selbst kochen. Der Wein schmeckte wie Traubensaft mit Wasser und Benzin. Als ich doch lieber Bier bestellte, ging eine der drei Damen los, um im Eckladen welches zu kaufen.
Zum Restaurant wurden wir vom Staatsanwalt gebracht, mit dem wir schon Borschtsch im Kulturzentrum gegessen hatten und der seine Mädels am Bushof laufen lies, wie er sagte. Jakob Kuvaldin, schwarze Jogginghose, schwarze, zu große Lederjacke (für russische Verhältnisse passt sie perfekt), dunkelbraun getönte Brille, Sommerschapka mit steifem Plastikschirm, natürlich in schwarz. Er lud uns in seinen fast neuen Lada Niva, der mit zahlreichen Anbauteilen aus dem Baumarkt aufgewertet war. Ich ohne Gurt auf der Rücksitzbank, hinter mir plärrten die Boxen in voller Lautstärke Scooters „How much is the fish?“. Ich saß auf der Rückbank und krallte mich aus Angst vor Jakobs kaputter Fahrweise und der Musik hinter mir in fremde Oberschenkel. Mit 160 bpm auf dem Mittelstreifen durch die ukrainische Nacht. Ich glaube ja, er machte das mit der Musik und dem Rasen nur, weil wir Deutsche sind. Deutsche mögen schließlich schnelle Autos und vor allem mögen sie Scooter.
Der Grund von Igors Besuch war aber eigentlich die Verkostung des in seiner Küche selbst gebrannten Likörs. Dunkelbraun, nach Nüssen riechend, aus Zucker und Hefe hergestellt und mit geschätzten 60 Umdrehungen. Ich lehnte lachend ab und sagte, dass ich „sick“ sei, die Jungs hauten sich 50 Gramm rein. So müssen alte Männer bei der Darmspiegelung aussehen. Ansatzlos bat uns Igor wiederum die Dienstleistungen einer Prostituierten an, ein Blow Job läuft doch immer. Wir lehnten ab und gingen lieber mit ihm essen, das schien uns das kleinere Übel zu sein.
Jetzt beisse ich in das Hackbrötchen und gucke auf die Straße.
Dann werde ich vom Staatsanwalt und seiner Horde bei einem ihr nächtlichen Streifzügen entdeckt und unter „Ich habs dir ja gesagt, geh nicht mit Igor mit!“-Rufen ins Auto und ins nächste Restaurant befohlen, mir wird recht schnell mein neuer Freund vorgestellt, mit dem ich nun trinken müsse. Slava stellt sich selbst vor, indem er mir lachend sämtliche Fingerknochen der rechten Hand auskugelt. 140 Kilogramm, drei Viertel davon über der Gürtellinie. Glatze, Arme wie Beine, Werftarbeiter, der jetzt sein eigenes Bisnes macht. Nebenbei spielt er in einer Grindcore- Band und ist zudem der Cousin von irgendjemandem, was ihm ermöglicht, mich hier, im besten Laden der Stadt, auf die besten Koktebel-Liköre einzuladen. Zum Glück hab ich Hackbrötchen gegessen.

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Weltraumbahnhöfe und Borschtsch http://www.hntrlnd.de/?p=122 http://www.hntrlnd.de/?p=122#comments Mon, 16 Feb 2009 22:39:42 +0000 http://www.hntrlnd.de/?p=122 Bei Starkregen und Nordwind Fahrt zum Weltraumbahnhof Bagerowo, einer zugewachsenen Betonwüste im Nichts, auf deren von Rindern besiedelter Landebahn laut Aussage unserer ukrainischen Freunde ein Space Shuttle landen könnte. Im Moment wird allerdings das letzte noch verbliebene Gebäude, ein Hangar, gerade von vier Bauarbeitern mühsam und langsam abgetragen, um ihn woanders wahrscheinlich mühsam und langsam wieder aufzubauen. Hier habe sich vor vielen Jahren der Start der ersten russischen Atombombe ereignet, wird uns von unserem Fahrer Walodja mit großen Augen zugetragen. Der Grund für den Ausflug ist der Besuch einer Baufirma, deren zehn Mitarbeiter damit beschäftigt sind, Steine zu klopfen, Drähte zu binden und viel zu teure Maschinen zu reparieren, weil sie falsch bedient wurden.

In der Kantine des Kulturzentrums in Kerch gab es Borschtsch für 50 Cent, gekochtes Rindfleisch mit frischem Kartoffelpüree, Möhren und Salat für 80 Cent. Dunkelblau strahlende Tischdecken aus geprägtem Wachstuch, die Speisekarte auf einer Schreibmaschine geschrieben, deren Lettern wohl verbogen sind, da sie nicht mehr alle Buchstaben in einer Reihe druckt. Eine altmodische Lichtorgel säumt die Deckenleiste in vier Metern Höhe. Der angebliche Staatsanwalt, der mit uns gemeinsam am Tisch sitzt, ist etwa 25 Jahre alt, nimmt angeblich gern Drogen während der Arbeitszeit und fuhr eben noch am Bushof in seinem getunten Lada seine Liebschaft von Geschäft zu Geschäft. Bisnes nennt man das.

„Bisnes“ nennt sich auch der Markt, in dem ich abends noch Riesen- Shrimps für 13 Griwna, also 1,90 Euro, pro Kilo und ganz lustige Schokolade für vier Cent kaufe. Auf der Verpackung lacht mich das stilisierte Gesicht eines Mädchens mit rotem Kopftuch vor einem Weizenfeld an, über ihr prangert in fetten kyrillischen Lettern das Versprechen eines archaischen Genusses. Diese Art von Schokolade hat mir zuletzt mein Vater gekauft, da war ich sieben. In diesem Markt – Achtung, deutsche Ingenieurssichtweise: könnte man mittels einer gut angebrachten Überwachungskamera fünf der zehn ledebejackten Sicherheitsmänner einsparen. Aber dann gäbs noch mehr Arbeitslose.

Vieles hier fühlt sich an, als ob die DDR 1975 ein kleines bisschen undicht in Alufolie verpackt worden wäre, damit auch alles ein kleines bisschen rosten kann. 2000 haben sie sie wieder ausgepackt und mit allem bombardiert, was unsere neue Weltordnung hergibt und was sich hier kaum einer leisten kann und auch nicht jeder versteht.

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